Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.409

 

eine Einflussnahme auf die Zeugen. Hinzukommt, dass keinerlei Unterschied im Belastungsgrad oder in der Wiedergabe zwischen den Aussagen der aus Israel stammenden Zeugen und der in Deutschland, USA, Kanada, Frankreich, Österreich, Spanien, Polen wohnenden jüdischen Zeugen dieses Prozesses festzustellen war. Bei dem Gericht bestehen somit keinerlei Zweifel an der korrekten und objektiven Arbeitsweise der Untersuchungsstelle für NS-Gewaltverbrechen in Tel Aviv und des mit dem "Komplex Lemberg" befassten Untersuchungsreferenten Lan.

 

Mangels irgendwelcher Anhaltspunkte für eine gegenteilige Arbeitsweise des Zeugen Lan. bei der Ermittlung der Zeugin Gisela Urb. bedurfte es auch nicht gemäss §244 Abs.2 StPO einer nochmaligen Vernehmung des Zeugen auf einen entsprechenden Beweisantrag der Verteidigung hin (Bl.545 des Protokolls; Gerichtsbeschluss dazu Bl.548).

 

Alle oben zusammengestellte Kriterien und insbesondere die dort herausgearbeiteten denkbaren Fehlerquellen wurden bei der Würdigung der Aussagen der vernommenen Belastungszeugen ins Auge gefasst und sämtliche Feststellungen gerade im Hinblick darauf und insbesondere auf den verstrichenen Zeitablauf unter denkbar weiter Auslegung des Grundsatzes "in dubio pro reo" getroffen. Ob das Urteil damit der historischen Wahrheit in jeder Hinsicht gerecht wird, ist völlig nebensächlich, es entspricht dem rechtsstaatlichen Schutz des Angeklagten.

 

2. Einlassung des Angeklagten

 

Ausgangspunkt bei der Sachverhaltsfeststellung war zunächst die Einlassung des Angeklagten. Insbesondere über die örtlichen und räumlichen Verhältnisse der DAW zeigte sich dieser noch heute gut orientiert. Insoweit wurden seine Angaben durch viele Einzelbekundungen von Zeugen bestätigt. Über die Behandlung der Juden in den DAW und über sein eigenes Verhalten diesen gegenüber liess er sich wie folgt ein:

 

Er sei Leiter eines Wirtschaftsbetriebes gewesen. In dieser Eigenschaft sei es sein uneingeschränktes Ziel gewesen, einen ordnungsgemäss laufenden Betrieb zu führen, um die ihm von der DAW-Zentrale in Berlin gesteckten Produktionsvorhaben erfüllen zu können. Dabei sei er mangels deutscher Arbeitskräfte auf die jüdischen Arbeitern angewiesen gewesen. Daraus sei schon zu ersehen, dass es nicht in seinem Sinne liegen konnte, die ihm unterstellten Arbeiter und Arbeiterinnen zu misshandeln oder gar zu töten. Vor allem zu den jüdischen Führungskräften habe er ein gutes Verhältnis gehabt. Er habe in den einzelnen Branchen von diesen vieles gelernt. Ohne die bereitwillige Mitarbeit dieser sog. Funktionshäftlinge sei es ihm überhaupt nicht möglich gewesen, die DAW zu dem Betrieb zu entwickeln, den sie nach und nach darstellten. Den Führungskräften habe er gestattet, in eigenen Wohnungen auf dem DAW-Gelände zu leben, Familienangehörige bei sich aufzunehmen und sich selbst zu verpflegen. Auch in sonstiger Hinsicht hätten diese zahlreiche Privilegien genossen. Er bedauere es sehr, dass keiner von diesen Führungskräften, zu denen er insbesondere die Juden Kittai, Kurzer, Jubel, Kraut, Steinwurzel, Mehlmann und seine Sekretärin bis Frühjahr 1943, Käthe Ha., zähle, überlebt habe, da durch sie die Nichtberechtigung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe eindeutig erwiesen werden könnte. Sein gutes Verhältnis zu den jüdischen Häftlingen dokumentiert er durch einige Einzelangaben: Weihnachten 1941 habe ihm der Judenrat einen grossen Präsentkorb übersandt. Er habe aber den Inhalt nicht angenommen, sondern ihn durch Kurzer an die Bewohner der DAW austeilen lassen. Während seiner Fleckfiebererkrankung habe Kraut einen jüdischen Bittgottesdienst für ihn abhalten lassen.

 

Das Zutrauen der Juden in den DAW zu ihm sei so gross gewesen, dass sie ihm gegenüber öfters erklärt hätten: "Herr Obersturmführer, wenn der Krieg vorbei ist, bauen wir mit Ihnen ein neues grosses Werk!" - Eines Tages sei ihm von Kurzer mitgeteilt worden, sieben Mitarbeiter aus dem technischen Büro seien auf dem Bahnhof Kleparow in Eisenbahnwaggons