Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.399

 

Anfang Juli 1943 verliess Willhaus das ZAL. Sein Nachfolger war Warzok 201. Im Sommer 1943 wurde das "Kommando 1005", allgemein Todesbrigade genannt, gebildet, das sich aus jüdischen Häftlingen zusammensetzte und die Aufgabe hatte, die Leichen der früher Erschossenen wieder auszugraben und zu verbrennen, um vor der Nachwelt das Ausmass der Judenausrottung zu verschleiern. Diese Verbrennungen fanden in den Piaski statt.

 

Am 19.November 1943 wurde das ZAL morgens von SS-Angehörigen umstellt und alle jüdischen Insassen, zu denen seit einiger Zeit auch die Funktionshäftlinge der DAW gehörten, in die Piaski geführt, dort erschossen und anschliessend verbrannt. Tagelang standen Rauchwolken über Lemberg. Der Geruch nach verbrannten Menschenfleisch wurde von jedermann in Lemberg wahrgenommen. Von den jüdischen Insassen des ZAL haben nur ganz wenige überlebt, und zwar diejenigen, die zuvor eine Gelegenheit zur Flucht ergriffen hatten.

 

Die Schilderungen über die Zustände im ZAL wurden von dem grössten Teil der vernommenen Zeugen bestätigt, und zwar im wesentlichen übereinstimmend von den überlebenden jüdischen Lagerinsassen, soweit sie dazu vernommen wurden, wie zum Beispiel der Zeuge Por., wie auch von ehemaligen deutschen Bewachern: dem Zeugen Kol., der ab Sommer 1942 nicht mehr in den DAW war, sondern abgesehen von kurzfristigen Abordnungen in andere Lager den Arbeitseinsatz im ZAL leitete; dem Zeugen Büt., der ab Anfang 1943 Leiter der Garage des ZAL war; dem Zeugen Blu., der ab Mitte des Jahres 1942 Leiter der Wäscherei des ZAL war 202. Por. bekundete, dass er etwa 50 bis 80 Mal Selektionen der oben geschilderten Art bei den Morgenappellen im ZAL erlebte, und selbst Kol., der wegen seiner Zugehörigkeit zum ZAL sicherlich bei der Wiedergabe eher zur Zurückhaltung als zur Übertreibung neigen dürfte, erklärte, zu seiner Zeit seien etwa 60 bis 80 bei den Probeläufen aussortierte Juden erschossen worden.

 

Der Ablauf der verschiedenen Aktionen wurde auf Grund der glaubhaften Bekundungen des Zeugen Por. festgehalten. Dieser Zeuge hatte als Mitglied des technischen Büros eine gewisse Sonderstellung im Lager und konnte von neu ankommenden Häftlingen Informationen erhalten. Zudem hatten die Mitglieder des technischen Büros unter Führung seines Leiters Gryffel eine Gemeinschaft zur Überlieferung des Schicksals der jüdischen Einwohner gebildet. Hierüber erlangte Informationen wurden jedem Bürozugehörigen weitergegeben, um sie, wenn einer überleben sollte, der Nachwelt überliefern zu können. Das Gericht hält die diesbezüglichen Schilderungen für glaubhaft, zumal Por., der von Beruf Architekt ist, seine Aussage sehr sachlich machte und nur das bekundete, was er auf Grund eigener Erinnerung gesichert glaubt. Die Darstellung über den Verlauf des 19.November 1943 im ZAL beruht auf den Angaben der Zeugen Kol. und Blu., die glaubhaft obige Feststellungen bezeugt haben. Blu. war am 19.November 1943 eingeteilt, um die Juden des ZAL zu zählen; er meint, er hätte fast 5.000 Häftlinge gezählt, die anschliessend in den Piaski erschossen worden seien; hiervon habe er den ganzen Tag über Schüsse gehört.

 

Der wiedergegebene Auszug aus dem sogenannten Katzmann-Bericht wurde aus dem in den Protokollen über den Nürnberger Prozess (Der Prozess gegen die Kriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, 1949, Band XXXIII, Seiten 391 ff.) abgedruckten Bericht entnommen, der in der Hauptverhandlung verlesen wurde. Insoweit hat Dr. Ser. als Zeuge berichtet, er habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass der in dem vorerwähnten Band veröffentlichte Bericht identisch ist mit dem Originalbericht Katzmanns, da deutsche Wissenschaftler an Hand der vorliegenden Originale "mit wissenschaftlicher Akribie" diese Ausgabe

 

201 In diesem Urteil 'Warzog' geschrieben.

202 Zu Kol., Büt. und Blu. siehe Verfahren Lfd.Nr.671.