Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.395

 

hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Zeugen Schr. Abstriche zu machen, soweit er den Angeklagten in den Fällen 2-4 der Anklageschrift belastet. Seine Angaben bezüglich des Datums der Kasernierung der Juden in den DAW beziehen sich auf einen Themenkreis, der für den Schuldvorwurf gegen den Angeklagten kaum bedeutsam ist, so dass die Gefahr einer bewussten Verfälschung fernliegt. Diese Bekundungen des Zeugen Schr. verlieren somit nicht entscheidend an Beweiswert, zumal sie sich mit den Aussagen des Zeugen Ric., gegen dessen Glaubwürdigkeit sich keinerlei Bedenken ergaben, genau decken und auch mit der Einlassung des Angeklagten in Einklang stehen. Der Zeuge Fru., der schon zu der Zeit, als Lemberg von der russischen Armee besetzt war, in der Werkstätte arbeitete, aus der sich die DAW später entwickelten, orientiert sich bezüglich des Zeitpunktes der Kasernierung an seinem Hochzeitstermin, dem 14.September 1941. Einige Wochen später - Fru. meint etwa Ende September / Anfang Oktober 1941 - sei das Lager geschlossen worden. Fru. hat sich bei dieser Schätzung um einige Wochen vertan, was auf die bei ihm erkennbar gewordene Vergesslichkeit und zu Tage getretene Mängel an geistiger Konzentrationsfähigkeit zurückzuführen ist.

 

Auf Grund aller dieser Angaben in Verbindung mit der gleichgerichteten Einlassung des Angeklagten, der erklärte, kurz vor Mohwinkels Abreise sei die Anordnung gegeben worden, die jüdischen Arbeiter müssten ab sofort in den DAW auch nachts verbleiben, ist das Gericht der sicheren Überzeugung, dass die zwangsweise Kasernierung der jüdischen Arbeitskräfte in die Zeit Ende Oktober / Anfang November 1941 fiel. Ob das Datum "31.Oktober 1941", das die Zeugen Ric. und Schr. nannten, auf den Tag genau richtig ist, wofür manches spricht, kann dabei letztlich dahingestellt bleiben.

 

b) Die sog. Funktionshäftlinge

 

Ausser den in den beiden Wohnbaracken kasernierten Juden waren jüdische Führungskräfte (Vorarbeiter, Büropersonal, Einkäufer, Ingenieure), die in dem Betrieb gegenüber den übrigen Arbeitern eine herausgehobene Stellung hatten, mit ihren Familien in Steinhäusern auf dem Gelände der DAW untergebracht. In diesen blieben sie bis Spätsommer 1943 wohnen. Diesen sogenannten Funktionshäftlingen, die mehr oder weniger mit den Deutschen kollaborierten, waren gewisse Privilegien eingeräumt. Sie durften sich unter anderem selbst verpflegen und auch Familienangehörige in ihre Wohnung aufnehmen.

 

Diese Feststellungen über die Lebensbedingungen der Funktionshäftlinge und über ihre bevorzugte Behandlung, die der Angeklagte immer wieder herausgestellt hat und wobei er zur Begründung hinzufügte, er sei ja auf diese seine Mitarbeiter dringend angewiesen gewesen, beruhen auf den übereinstimmenden Bekundungen vieler Zeugen, vorwiegend der in den DAW tätig gewesenen Deutschen. Sie wurden insbesondere auch von der Zeugin Zel., die als Dienstmädchen der Familie Gebauer selbst zu dieser Gruppe gehörte, glaubhaft bestätigt.

 

c) Errichtung des ZAL Lemberg

 

Ab November 1941 war der Angeklagte als alleiniger Werkleiter auch für die in den DAW kasernierten Juden verantwortlich. Etwa im März/April 1942 übernahm der damalige Oberschar- und spätere Untersturmführer Willhaus, der zunächst kurze Zeit nach seiner Ankunft in den "DAW Lemberg" im Einkauf arbeitete und dabei Stellvertreter des Angeklagten war, allein die Verantwortung für die Unterbringung und Überwachung der Häftlinge in den DAW. Insbesondere stand Willhaus auch der Wachmannschaft vor und instruierte diese über ihre Befugnisse. Diese Wachmannschaft bestand ab Frühjahr 1942 aus sog. Askaris (= russische Kriegsgefangene, die sich freiwillig der SS zu Hilfsdiensten zur Verfügung gestellt hatten) unter dem Kommando des Zeugen Kol. Unter anderem erklärte Willhaus dem Zeugen bei dessen Dienstantritt in den DAW, die Bewacher hätten jeden Flüchtling ohne Anruf zu erschiessen.