Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.392

 

Lösungen. Sie wird bestätigt durch die diesbezüglichen Bekundungen seiner ehemaligen deutschen Mitarbeiter in den DAW, insbesondere die Zeugen Ble., Mo. und Ka.

 

In biologischer Hinsicht sind bei dem Angeklagten keinerlei Besonderheiten festzustellen, insbesondere nicht solche, die seine strafrechtliche Verantwortlichkeit zu den Tatzeiten irgendwie beeinträchtigt haben könnten. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass bei ihm irgendwann eine Geisteskrankheit oder eine Geistesschwäche vorgelegen hätte. Ebenso fehlt es an jeglichem Hinweis auf eine Persönlichkeitsabnormität. Während einer von ihm um die Jahreswende 1942/43 durchgemachten Fleckfiebererkrankung war sein Bewusstsein für etwa 10 Tage getrübt. bzw. aufgehoben. Vor und nach dieser kurzen Zeitspanne lagen Bewusstseinsstörungen bei ihm nicht vor.

 

Diese Feststellungen beruhen auf dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Wit., der Professor für das Fach Neurologie und Psychiatrie an der Universitätsklinik Homburg ist, über grosse klinische und forensische Erfahrungen verfügt und einer der führenden Gerichtspsychiater Deutschlands ist. Er kam nach einer eingehenden Exploration des Angeklagten und auf Grund einer ausführlichen biographischen und Krankheitsanamnese zu vorstehendem Befund. Hinsichtlich der durch die Fleckfiebererkrankung bedingten Bewusstseinsbeeinträchtigung für eine Zeitspanne von etwa 10 Tagen gelangte Professor Dr. Wit. zu dem Ergebnis, dass diese vorübergehende Erkrankung für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten in der nachfolgenden Zeit keinerlei Bedeutung habe. An der Sach- und Fachkunde des Sachverständigen zu zweifeln, besteht keine Veranlassung. Das Gericht legt dessen Ergebnisse, deren Darlegung und schlüssige Begründung es überzeugt haben, der Urteilsfindung zugrunde. Das Ergebnis des Sachverständigen, das er auf Grund einer persönlichen Exploration des Angeklagten gewonnen hat, deckt sich zudem mit dem Bild, das sich das Gericht in der über neunmonatigen Hauptverhandlung von dem Angeklagten verschafft hat.

 

IV. « Die 'Deutsche Ausrüstungswerke' im Lemberg »

 

1. Eintritt des Angeklagten in die DAW

 

Im Sommer 1941 erhielt der Angeklagte eine Postkarte vom Arbeitsamt in Berlin mit der Aufforderung, sich bei der Zentrale der DAW zu melden. Er sei als Ausbilder in Lehrlingswerkstätten vorgesehen. Der Angeklagte begab sich dorthin, ohne zu wissen, dass es sich bei den DAW um einen SS-Wirtschaftsbetrieb handelte. Von SS-Sturmbannführer Maurer wurde ihm gesagt, er solle Lehrlinge im Messer- und Schwertschmieden ausbilden. Ausserdem werde er mit der Beschaffung von Materialien für Tischlereien der DAW beauftragt, da er mit der Lehrlingsausbildung allein nicht ausgelastet sei. Der Angeklagte trat bei den DAW als Zivilangestellter ein und bezog als solcher bis Kriegsende ein Gehalt.

 

2. Aufgabe und Bedeutung der DAW, ihre historische Entwicklung und ihre Organisation

 

Bei den Deutschen Ausrüstungswerken GmbH (= DAW) handelte es sich um einen der zahlreichen SS-Wirtschaftsbetriebe. Diese entwickelten sich in der Vorkriegszeit aus den den Konzentrationslagern angeschlossenen Werkstätten, die schon frühzeitig mehr Waren produzierten, als für den laufenden Verbrauch der Lager benötigt wurde. Um die erheblichen wirtschaftlichen Möglichkeiten, die sich durch die Verwertung der Lagerproduktion eröffneten, auszuschöpfen, wurden bereits vor dem Krieg diese Lagerwerkstätten den KZ-Kommandanten entzogen und ihre Umwandlung in SS-eigene wirtschaftliche Unternehmungen angeordnet, die ausschliesslich nach kaufmännischen Gesichtspunkten geführt wurden. Sie wurden auf handelsrechtlicher Ebene geleitet und später in der im Juli 1940 gegründeten Holding-Gesellschaft "Deutsche Wirtschaftsbetriebe GmbH" (= DWB) zusammengefasst. Inhaber aller Gesellschaftsanteile und allein vertretungsberechtigter Geschäftsführer der DWB war SS-Obergruppenführer Pohl, der Chef des Verwaltungs- und Wirtschaftshauptamtes