Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.390

 

allgemeinen Arbeitslosigkeit wurde er entlassen und blieb bis 1933 arbeitslos. Dann stellte ihn die Firma Siemens wieder ein und beschäftigte ihn bis etwa 1936 auf dem Bahnhofsbauamt in Glogau. Anschliessend war er etwa sechs Monate lang hauptberuflich als Nachrichtenführer bei der SS tätig, um schliesslich zu den Arado-Flugzeugwerken nach Warnemünde überzuwechseln, wo er bis 1939 arbeitete. Nach Kriegsausbruch wurde er bei der Luftnachrichtenabteilung gemustert. Die Firma Siemens in Berlin forderte ihn als Elektromonteur an und erreichte seine "u.k."-stellung. Im Sommer 1941 schied er bei der Firma Siemens aus.

 

Im Jahre 1932 schloss er mit Emmi Gebauer die Ehe, aus der keine Kinder hervorgegangen sind. Diese Ehe wurde 1953 geschieden. Seit Ende des Jahres 1953 ist er zum zweiten Mal kinderlos verheiratet.

 

Nach Kriegsende begab sich der Angeklagte nach Frankenstein bei Bautzen, wohin seine damalige Ehefrau evakuiert worden war. Er betätigte sich dort bei den russischen Besatzungskräften und erhielt von diesen einen "Passierschein", der ihn vor jeglichen Schwierigkeiten bewahrte. Anschliessend war er vorübergehend bei einem Brückenbau in Torgau als Schlosser tätig. Danach hatte er die Stelle eines Kreisgeschäftsführers bei einer russischen Filmvertriebsgesellschaft inne. Im Jahre 1956 wurde er in Dessau Abteilungsmeister für Mess- und Regeltechnik. Zu dieser Stellung war er gekommen, weil er bei der SED, der er in Torgau beigetreten war, einige Verdienste erworben hatte. Er wurde bald Abteilungssekretär in seinem Betrieb. Im Jahre 1960 war er auf Empfehlung der SED ausersehen, Stadtsekretär von Dessau zu werden. Dadurch bedingt wurden Nachforschungen über seine Vergangenheit angestellt, die ihn befürchten liessen, seine frühere Zugehörigkeit zur SS werde nunmehr bekannt. Bis dahin waren ihm seit Kriegsende - wie er unwiderlegt angibt - von keiner Seite Fragen in dieser Richtung gestellt worden. Im Jahre 1960 waren an seiner Arbeitsstelle auch betriebstechnische Schwierigkeiten aufgetreten, die die Staatspolizei der DDR bewogen, sich einzuschalten. Dieser Umstand und die von ihm befürchteten Recherchen über seine Vergangenheit in der NS-Zeit anlässlich der in Erwägung gezogenen Ernennung zum Stadtsekretär von Dessau liessen es ihm ratsam erscheinen, mit seiner Frau in die Bundesrepublik zu fliehen. Von Berlin aus kam er 1960 nach Homburg/Saar und nahm dann für sieben Jahre in Wiebelskirchen/Saar Wohnung. Er arbeitete zunächst drei Jahre als Fernmeldehandwerker und anschliessend bei einer Stahlbaufirma. Ende 1966 oder Anfang 1967 wurde er wegen eines Leberleidens erwerbsunfähig. Seitdem bezieht er eine Rente, die sich zur Zeit auf zwischen 800 und 900 DM beläuft. Im Jahre 1968 verlegte er seinen Wohnsitz nach Seesen im Harz.

 

Der Angeklagte war in dieser Sache in Untersuchungshaft vom 17.Mai 1961 bis zum 1.September 1961 auf Grund Haftbefehls des Amtsgerichts Neunkirchen vom 17.Mai 1961 (10 Gs 284/61). Der Haftbefehl war anschliessend ausser Vollzug gesetzt. Seit dem 10.Dezember 1970 befindet sich der Angeklagte auf Grund Haftbefehls des Schwurgerichts vom gleichen Tage erneut in Untersuchungshaft.

 

II. Werdegang des Angeklagten in der SS

 

In der Zeit seiner Arbeitslosigkeit im Jahre 1930, in der er wöchentlich zweimal das Arbeitsamt aufsuchte, wurde er dort von Werbekolonnen der NSDAP angesprochen. Er trat am 1.Januar 1931 in die Partei ein; seine Mitgliedsnummer war 388.421. Als Mann von grosser Statur ist ihm bedeutet worden, er gehöre in die SS. In diese trat er am 23.Februar 1931 ein. Damals waren ausser ihm in Glogau noch fünf weitere Parteimitglieder bei der SS; bis 1933 wuchs diese Gruppe auf 80 bis 100 Männer heran.

 

Er hatte bei der SS zu Anfang etwa alle 8 bis 14 Tage Dienst. Seine Aufgabe bestand darin, Propagandazettel zu verteilen; ausserdem war er zum Saalschutz eingeteilt. Später bekam er vom SS-Sturmführer in Glogau den Auftrag, einen "Nachrichtenzug" aufzubauen: im