Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXVI

Verfahren Nr.758 - 767 (1971 - 1972)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.758 LG Kiel 02.08.1971 JuNSV Bd.XXXVI S.5

 

Lfd.Nr.758    LG Kiel    02.08.1971    JuNSV Bd.XXXVI S.39

 

Justizurteilen durch polizeiliche Sonderbehandlung" (Nürnberger Dokument PS 654, IMT Band XXVI S.200 ff.). Als weiteres Beispiel für die Kooperation von Justizminister und Reichsführer SS Himmler in dessen Eigenschaft als Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung sind die "Verordnung zur weiteren Anpassung der Strafrechtspflege an die Erfordernisse des totalen Krieges" (Reichsgesetzblatt I 1944, S.339 ff.) und eine Urkunde von Ende 1944, überschrieben: "Gemeinschaftliche Richtlinien des RJM und Reichsführers SS - 4611 IV a 4 154 b/44 -" vom Sachverständigen aufgezeigt worden. Auch diese Hinweise können nicht die genügende Sicherheit vermitteln, dass Heinrich Himmler tatsächlich an der Abfassung der nach Linz übersandten Richtlinien beteiligt war oder die Vorgänge in Sonnenburg direkt betreffende Anordnungen erteilt hat.

 

Die Angaben des Staatssekretärs Klemm, Heinrich Himmler selbst habe die Verantwortung für das Zuchthaus in Sonnenburg übernommen, hat in anderen Beweismitteln keine Stütze gefunden und ist für sich gesehen wenig überzeugend. Klemm will diese Mitteilung von Justizminister Thierack erhalten haben. Himmler soll Thierack diese Unterstellung sogar schriftlich gegeben haben. Klemm will dieses etwa 10 Zeilen lange Schriftstück, das die typische Unterschrift Heinrich Himmlers getragen haben soll, aber selbst nicht gelesen haben. Er will es nur auf dem Schreibtisch liegen gesehen haben. Es haben sich keine Hinweise dafür gefunden, dass diese von Klemm behauptete Unterstellung der Anstalt unter Heinrich Himmler auch vollzogen worden ist. Hiernach wäre auch die weitere Tätigkeit des Generalstaatsanwaltes in dieser Sache nicht erklärlich. Auch der als Sachbearbeiter der Abteilung V im Justizministerium für die Räumung von Vollzugsanstalten zuständige, inzwischen verstorbene Senatspräsident Hec. hat vor dem Militärgerichtshof in Nürnberg bestritten, davon gehört zu haben, dass der Justizminister die Befehlsgewalt über das Zuchthaus Sonnenburg aufgegeben habe. Dieser Beamte hätte in seiner Zuständigkeit aber davon wissen müssen, wenn eine solche Unterstellung vorgenommen worden wäre. Der Zeuge Egg. hatte ebenfalls als Angehöriger dieser Abteilung keine Kenntnis von einer solchen Unterstellung. Er hielt es jedoch nicht für ausgeschlossen unter dem Hinweis, "dass damals alles möglich war". Es liegt nahe, dass der vor dem Nürnberger Militärgerichtshof wegen der Vorgänge in Sonnenburg angeklagte Staatssekretär Klemm diese Angaben wahrheitswidrig zu seiner eigenen Entlastung gemacht hat. Bereits der Militärgerichtshof in Nürnberg hat dem damaligen Angeklagten Klemm diese Einlassung nicht geglaubt und ihn wegen der Mitverantwortung an den Tötungen in Sonnenburg verurteilt.

 

3.252 Reichsjustizminister Thierack

 

Die beamtenrechtliche und politische Verantwortung des Reichsjustizministers Thierack für die Handlungen der ihm unterstellten Ministerialbeamten und der nachgeordneten Behörden genügt nicht für die Feststellung eines strafrechtlichen Verhaltens. Eine konkrete Tätigkeit Thieracks, die in einem Zusammenhang mit den Tötungen in Sonnenburg gebracht werden können, ist nicht festgestellt worden. Ein Erlass des Reichsjustizministers vom 12.2.1945 (IV a 56/45 g), in dem es im Absatz 5 heisst:

"ausgenommen" - gemeint ist von der Beurlaubung - "sind Gefangene, deren Entlassung der Schutz der Öffentlichkeit verbietet, und Gefangene, die zu Jugendgefängnis verurteilt worden sind. Ausländer werden nur im Benehmen mit der Polizeibehörde auf freien Fuss gesetzt, sonst der Polizei überstellt."

ist nicht geeignet, eine solche Beziehung herzustellen. Dieser Erlass betraf die Entlastung der Strafanstalten und gehörte nicht zu den Massnahmen der "Räumung von Vollzugsanstalten im Rahmen der Freimachung bedrohter Feindgebiete".

 

Auch die im Reichsjustizministerium verfassten und von dort am 5.2.1945 nach Linz versandten Richtlinien über die Räumung der Vollzugsanstalten bei Feindbedrohung können nur allgemeine Hinweise auf die Kenntnis des Ministers geben. Konkrete Anordnungen im Fall Sonnenburg, die dem Reichsjustizminister Thierack mit Sicherheit angelastet werden können,