Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLIX

Verfahren Nr.920 - 924 (2002 - 2012), 880 (Erratum), 950 - 959 (1945 - 1960; Nachtragsverfahren)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.924 LG München II 12.05.2011 JuNSV Bd.XLIX S.227

 

Lfd.Nr.924    LG München II    12.05.2011    JuNSV Bd.XLIX S.381

 

gemachten Vorwürfe in Haft gewesen ist; diese wurde unter Punkt I 2 b strafmildernd berücksichtigt. Es ist daher im Urteil auch kein Umrechnungsmassstab gem. §51 Abs.4 StGB festzulegen.

 

a) Der Angeklagte wurde von den USA an Israel ausgeliefert wegen des Vorwurfs, als der im Vernichtungslager Treblinka bekannte "Iwan der Schreckliche" Greueltaten an den jüdischen Häftlingen begangen zu haben. Wegen dieses Vorwurfs befand er sich in Israel in Untersuchungshaft, wurde er angeklagt und in erster Instanz verurteilt. Von diesem Vorwurf wurde er in zweiter Instanz freigesprochen.

 

b) Der Angeklagte war in Israel wegen seiner Wachmanntätigkeit in Treblinka angeklagt. Die Anklage beschäftigt sich ausführlich mit dem Aufbau und der Einrichtung des Vernichtungslagers Treblinka sowie dem Ablauf der Tötung der Juden. Bezüglich des Angeklagten schildert die Anklage ausführlich Greueltaten, die sie dem Angeklagten in Treblinka vorwirft und mit denen er als "Iwan der Schreckliche" bekannt geworden sei. Die rechtlichen Schlussfolgerungen zieht die Anklage unter der Überschrift "Die vom Angeklagten begangenen Straftaten" und nimmt hierbei stets auf "die oben beschriebenen Taten" Bezug. Lediglich an einer Stelle stellt die Anklageschrift in einem Satz einen Bezug zu Sobibor her, ohne allerdings eine Tat zu schildern:

"Während dieses Zeitraums, an einem Tag nahe dem 27.März 1943, diente der Angeklagte für einen kurzen Zeitraum im Todeslager Sobibor."

 

Aus dem Gesamtzusammenhang ist zu schliessen, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft alleine auf Taten im Lager Treblinka bezieht. Diesen Schluss hat auch das Berufungsgericht in Tz.4 seiner Urteilsgründe gezogen:

"In der Anklageschrift wird der Berufungskläger beschuldigt, "Ivan der Schreckliche" zu sein, der Verbrechen gegen das jüdische Volk [...] begangen hat."

 

c) Der Angeklagte ist vom Bezirksgericht Jerusalem wegen seiner Taten im Vernichtungslager Treblinka verurteilt worden. Dem entsprechend führt das Berufungsgericht aus:

"Der Berufungskläger wurde für schuldig befunden, die ihm zugeschriebenen Verbrechen begangen zu haben und wurde zum Tode verurteilt."

 

d) Das Berufungsgericht hat in seinem Urteil vom 29.Juli 1993 den Angeklagten wegen des Vorwurfs, als Wachmann im Vernichtungslager Treblinka gewesen zu sein, freigesprochen.

 

Der im Berufungsverfahren in Israel von der Staatsanwaltschaft gestellte Antrag, den Angeklagten wegen einer Tätigkeit als Wachmann in Sobibor zu verurteilen, machte den Vorwurf noch nicht zum Verfahrensgegenstand. Durch Erhebung von Beweisen darüber, ob der Angeklagte anstatt in Treblinka vielleicht in Sobibor war, und deshalb dem dort verfahrensgegenständlichen Vorwurf ein mögliches Alibi entgegenstand, ist die Tätigkeit des Angeklagten in Sobibor ebenso wenig Verfahrensgegenstand geworden.

 

e) Das vorliegend gegen den Angeklagten geführte Verfahren und das in Israel geführte Verfahren stehen auch nicht in einem irgendwie gearteten funktionellen Zusammenhang, wie ihn die Rechtsprechung in Erweiterung des Gesetzeswortlauts für eine Anrechnung genügen lässt 343.

 

343 BGH v. 22.12.1987 - 1 StR 423/87, BGHSt. 35, 172 (177 f.); BGH v. 07.02.1990 - 2 StR 601/89, NStZ 1990, 231.