Justiz und NS-Verbrechen Bd.XX

Verfahren Nr.569 - 589 (1964 - 1965)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.579b BGH 24.08.1965 JuNSV Bd.XX S.374

 

Lfd.Nr.579b    BGH    24.08.1965    JuNSV Bd.XX S.375

 

Beurteilung, die der Senat der Aufhebung des ersten Schwurgerichtsurteils 100 zugrunde gelegt hat, dass nämlich die Angeklagten bei dem äusseren und inneren Sachverhalt, wie ihn das erste Schwurgerichtsurteil festgestellt hat, Mittäter sind, trotz wesentlich gleicher Feststellungen entgegen §358 Abs.1 StPO zwar seinen Urteilsgründen, aber nicht seiner Entscheidung selbst zugrunde gelegt und damit nur das sachliche Strafrecht auf den von ihm festgestellten Sachverhalt falsch angewandt. Dass die Berufsrichter, die das Urteil unterschrieben haben, ihre vom Urteilsspruch abweichende Rechtsansicht in den Urteilsgründen zum Ausdruck gebracht haben, ist kein Verfahrensverstoss. Anhaltspunkte dafür, dass die dargelegten rechtlichen Mängel (Nichtanwendung des §358 Abs.1 StPO, falsche Anwendung des sachlichen Strafrechts) das Schwurgericht zu unrichtigen oder unvollständigen Feststellungen veranlasst hätten, sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Auch die Verteidigung hat einzelne Anhaltspunkte solcher Art nicht zu nennen vermocht. Ihr Fehlen unterscheidet den vorliegenden Fall wesentlich von demjenigen, den das Kammergericht durch sein Urteil JR 1957, 270 ff. entschieden hat.

Der Verteidiger des Angeklagten Struve hat die in seiner schriftlichen Revisionsbegründung erhobene Verfahrensrüge in der Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen.

Die von beiden Revisionen erhobene Sachrüge greift nicht durch. Das Urteil lässt keinen sachlichrechtlichen Fehler erkennen, der den Revisionen zum Erfolg verhelfen könnte. Dass das Schwurgericht die Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord statt als Mittäter beim Mord verurteilt hat, beschwert diese nicht.

 

B. Die Revision der Staatsanwaltschaft101

 

hat Erfolg, soweit sie die Verurteilung der Angeklagten Dr. Scheu und Struve betrifft. Sie beanstandet zu Recht, dass das Schwurgericht hierbei gegen §358 Abs.1 StPO verstossen und ausserdem sachliches Strafrecht verletzt hat.

Der Senat hat das erste Urteil des Schwurgerichts 102, soweit es die Verurteilung der Angeklagten Dr. Scheu und Struve betraf, u.a. mit der Begründung aufgehoben, dass beide Angeklagte bei dem äusseren und inneren Sachverhalt, wie er sich aus den Feststellungen des aufgehobenen Urteils ergab, Mittäter und nicht nur Gehilfen bei fremden Mordtaten gewesen seien. Das Schwurgericht war bei seiner neuen Entscheidung gemäss §358 Abs.1 StPO an diese Rechtsauffassung gebunden. Der äussere und innere Sachverhalt, der sich aus den Feststellungen des neuen Schwurgerichtsurteils ergibt, enthält keine Tatsachen, die das Schwurgericht von dieser Bindung befreiten. Dadurch, dass es die Taten der Angeklagten Dr. Scheu und Struve trotzdem wiederum nur als Beihilfe zum Mord beurteilt hat, ist §358 Abs.1 StPO verletzt worden.

 

Was der Verteidiger des Angeklagten Dr. Scheu in seinem Schriftsatz vom 4.Februar 1965 hiergegen vorträgt, greift nicht durch.

 

1. Der Einwand, die Feststellungen beruhten auf einem Verfahrensverstoss, ist unbegründet. Dies ist bereits oben unter A. zur Revision des Angeklagten Dr. Scheu ausgeführt worden.

2. Es trifft zwar zu, dass in dem früheren Urteil festgestellt worden ist, der Angeklagte Struve sei nach seinem Eintreffen auf dem Erschiessungsplatz und vor dem Beginn der Exekution von dem Angeklagten Dr. Scheu über den Zweck der Aktion sowie über die Art und Weise ihrer Durchführung, insbesondere auch darüber unterrichtet worden, dass die arbeitsunfähigen Juden erschossen würden und die arbeitsfähigen nach Heydekrug kämen (vgl. früheres Urteil S.511 a-25, 30, 45). Daraus folgt jedoch im Gegensatz zur Meinung der Verteidigung nicht als Feststellung des früheren Urteils, dass der Angeklagte Dr. Scheu den (angeblichen) Befehl der Gestapo, mit der Heydekruger SS bei einer Aktion gegen Heckenschützen und Partisanen im Raume Naumiestis (Neustadt) in Litauen zu Absperr- und Hilfszwecken mitzuwirken, aus eigenem Entschluss befolgt hätte. Das frühere Urteil stellte im Gegenteil ausdrücklich fest, dass der Angeklagte Dr. Scheu vor der Alarmierung der Heydekruger SS für den Einsatz in Naumiestis telefonisch die Billigung des Angeklagten Struve erbat und erhielt, und ging davon aus, dass beide glaubten, dem Befehl der Gestapo gehorchen zu müssen (vgl. früheres Urteil S.462).

 

100 = Lfd.Nr.511a.

101 Die Seitenzahl der in diesem Abschnitt erwähnten Fundstellen ("neues Urteil S. ..." bzw. "früheres Urteil S. ...") sind bei dem "neuen Urteil" diejenigen dieses Bandes (Bd. XX), bei dem "früheren Urteil" diejenigen des Bandes XVII.

102 = Lfd.Nr.511a.