Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLIX

Verfahren Nr.920 - 924 (2002 - 2012), 880 (Erratum), 950 - 959 (1945 - 1960; Nachtragsverfahren)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.924 LG München II 12.05.2011 JuNSV Bd.XLIX S.227

 

Lfd.Nr.924    LG München II    12.05.2011    JuNSV Bd.XLIX S.374

 

IV. Verfolgungshindernisse

 

Der Verurteilung des Angeklagten stehen keine Verfolgungshindernisse entgegen.

 

1. Verjährung

 

Die Verfolgung der Taten des Angeklagten ist nicht verjährt.

 

a) Die Verjährungsfrist für Mord ebenso wie für die Beihilfe hierzu betrug gem. den zur Tatzeit im Jahr 1943 geltenden §§67 Abs.1, 1.Alt., 49 StGB i.V.m. §4 Gewaltverbrecher-VO v. 5.Dezember 1939 313 sowie in der Fassung des Art.2 Nr.2 Verordnung vom 29.Mai 1943 314 20 Jahre, weil im Tatzeitraum die Höchststrafe für Teilnahme an diejenige der Haupttat angeglichen worden war.

Die genannten Regelungen sind nicht durch Kontrollratsgesetze aufgehoben worden 315. §49 Abs.2 StGB blieb bis zum Inkrafttreten des StGB in der Fassung des 2.StrRG am 1.Januar 1975 gültig.

Die Verjährungsfrist hätte mit Beendigung der einzelnen Taten begonnen; das war für die erste Tat der 2.April 1943, für die letzte der 23.Juli 1943 (§67 Abs.4 StGB a.F.).

 

b) Diesem Verjährungsbeginn steht allerdings entgegen, dass der Lauf der Verjährungsfrist für die hier abgeurteilten Taten in der Zeit bis zum 8.Mai 1945 gemäss §69 StGB a.F. (jetzt: §78b Abs.1 StGB) ruhte, weil ihrer Verfolgung während der Herrschaft des Dritten Reichs der als Gesetz geachtete "Führerwille" entgegenstand 316. Die Vernichtung der Juden und alle damit im Zusammenhang stehenden Handlungen waren von der obersten Reichsführung angeordnet. Eine Verfolgung der beschriebenen Taten während der nationalsozialistischen Herrschaft wäre bei Bekanntwerden sicher unterblieben 317. Handlungen der SS-Leute und ihrer Hilfskräfte waren zudem der ordentlichen Gerichtsbarkeit entzogen, weil dieser Personenkreis der besonderen SS- und Polizeigerichtsbarkeit unterstellt war. Das BVerfG bezeichnete "die straflose Ermordung von Millionen jüdischer Mitmenschen" als "das äusserste Beispiel" für das Ruhen der Verjährungsfrist 318.

 

c) In der Zeit vom 8.Mai 1945 bis zum 31.Dezember 1949 hat die Verjährung nach §1 Abs.1 des Gesetzes über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfrist vom 13.April 1965 319 geruht. Das Gesetz ist anwendbar, weil die Verjährungsfrist erst am 8.Mai 1965 abgelaufen wäre (§1 Abs.1 Satz 2 a.a.O.) 320. Ohne Hinzutreten einer weiteren Hemmung des Verjährungslaufs wäre die Tat des Angeklagten daher am 31.Dezember 1969 verjährt.

 

313 RGBl. 1939 S.2378.

314 Siehe oben Fn 214.

315 Vgl. Kontrollratsgesetz Nr.11 vom 30.01.1946 (ABl. AHK S.3268).

316 BVerfG v. 18.09.1952 - 1 BvR 612/52, BVerfGE 1, 418 (425): Überblick über die während der Besatzungsherrschaft erlassenen Landesgesetze über das Ruhen der Verjährung; BGH v. 12.12.1951 [Richtig: 20.12.1951]- 4 StR 9/50, NJW 1952, 271; BGH v. 02.10.1962 - 1 StR 299/62, NJW 1962, 2308 (2309); BGH v. 28.05.1963 - 1 StR 540/62, BGHSt. 18, 367; BGH v. 29.10.1969 - 2 StR 57/69, BGHSt. 23, 137 (139 f.).

317 Siehe die Ausführungen des Sachverständigen Dr. P. oben C II 1 Seite 257.

318 BVerfGE v. 18.09.1952 (Fn 316) S.426 f.

319 BGBl. 1965 I S.315.

320 Zur Verfassungsmässigkeit: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Schmähl Art.103 Rn 24, 38; v. Mangoldt/Klein/Starck/Nolte Art.103 Rn 111; Maunz/Dürig/Schmidt-Assmann Art.103 Rn 245; Leibholz/Rinck/Burghart Art.103 Rn 1492.