Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam
Lfd.Nr.579a LG Aurich 26.06.1964 JuNSV Bd.XX S.372
mehr hätten tun können, um die in Naumiestis und Vainutas festgenommenen Juden zu vernichten.
Das Ausmass ihrer Mitwirkung an dieser Massenexekution rechtfertigt - wie bereits erörtert worden ist - ihre Verurteilung als Mittäter.
Das Mass der Schuld wird bei den Angeklagten unter anderem durch ihre Intelligenz, ihren Bildungsgrad, ihre soziale Stellung, ihre dienstliche Eigenschaft, die Intensität ihrer Mitwirkung und das Gewicht ihres Tatbeitrages bestimmt.
Hierzu ist zu sagen:
Der Angeklagte Dr. Scheu war zur Tatzeit Grossgrundbesitzer und Arzt in Heydekrug. Er stammte aus einer bekannten Familie, die mit seiner Heimatstadt Heydekrug eng verknüpft war und sich grosse Verdienste um diese Stadt erworben hatte. Das Ansehen seines Vaters und seines Grossvaters hatte sich schon in jungen Jahren auf ihn übertragen, obwohl er - von seinem Einsatz im Volkstumskampf abgesehen - noch keine eigenen Verdienste aufweisen konnte. Dr. Scheu war Inhaber zahlreicher Posten und Ehrenämter und Führer des Heydekruger SS-Reitersturms mit dem Rang eines SS-Untersturmführers, wobei jedoch bemerkt werden muss, dass er diese Ämter nicht nur seinem Ansehen, sondern auch seiner Betätigung in den schon nationalsozialistisch ausgerichteten memeldeutschen Organisationen zu verdanken hatte.
Der Angeklagte Struve ist in seiner Gesamtpersönlichkeit wenig vergleichbar mit Dr. Scheu. Er ist ein einfacher, mittelmässig intelligenter Mensch, der wenig Entschlussfreude und Selbstbewusstsein zeigt. Struve hatte keinen Beruf erlernt, war über seine Betätigung in einem Freikorps zur Reichswehr gekommen und dort als Turnierreiter ausgebildet worden. Nach dem Ablauf seiner Dienstzeit fand er - hauptsächlich wohl aus wirtschaftlichen Gründen - den Weg zur Partei und zur SS.
Seine reiterliche Befähigung liess ihn schnell zum hauptamtlichen SS-Führer und Führer der Reiterstandarte in Tilsit aufsteigen. Er wurde dadurch aber keineswegs zu einer Führernatur, sondern blieb in seiner Mentalität weiterhin ein Reitlehrer und Wachtmeistertyp.
Der Angeklagte Struve war zwar der ranghöchste SS-Führer bei der Erschiessungsaktion und zugleich der unmittelbare Vorgesetzte von Dr. Scheu. Trotzdem kann man seinen Einfluss auf den Ablauf des Gesamtgeschehens nicht stärker bewerten als den von Dr. Scheu. Denn ihm stand in Dr. Scheu ein Mensch zur Seite, der durch seine geistige Überlegenheit, seine soziale Stellung und sein hohes Ansehen den Rangunterschied mindestens ausgleichen konnte. Struve war ein Mann von einfacher Denkart, dessen berufliche Tätigkeit sich im wesentlichen im Umgang mit Reitschülern und Pferden und in der Entgegennahme und der Weitergabe von Befehlen erschöpft hatte. Er liess sich - bewusst oder unbewusst - in seinen Entschlüssen weitgehend von Dr. Scheu beeinflussen. Da diese Tatsache Dr. Scheu nicht unbekannt sein konnte, ist ihm der schwere Vorwurf zu machen, nicht auf den Angeklagten Struve eingewirkt zu haben, um die Massenexekutionen zu unterbinden oder wenigstens die SS aus der Aktion herauszuhalten. Dr. Scheu hat in dieser Richtung nicht einmal einen Versuch gemacht. Hier hätte Dr. Scheu Gelegenheit gehabt, sich im Sinne der Tradition seiner Familie zu bewähren.
Das Schwurgericht hat unter Berücksichtigung dieser Umstände folgende Einzelstrafen verhängt:
Bei Dr. Scheu für die Ermordung von vier bereits angeschossenen Juden durch sogenannte Nachschüsse je drei Jahre Zuchthaus, für die Ermordung von vier noch unverletzten Juden durch Genickschüsse je fünf Jahre Zuchthaus, für die weitere Beteiligung an der Massenexekution ebenfalls fünf Jahre Zuchthaus,
bei Struve für die Ermordung eines noch unverletzten Juden durch Genickschuss fünf Jahre Zuchthaus, für die weitere Beteiligung an der Massenexekution ebenfalls fünf Jahre Zuchthaus.
Aus diesen Einzelstrafen hat das Schwurgericht gemäss §74 StGB bei Dr. Scheu eine Gesamtstrafe von zehn Jahren Zuchthaus und bei Struve eine Gesamtstrafe von neun Jahren Zuchthaus gebildet.
Die in diesem Verfahren erlittene Untersuchungshaft ist beiden Angeklagten in vollem