Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLIX

Verfahren Nr.920 - 924 (2002 - 2012), 880 (Erratum), 950 - 959 (1945 - 1960; Nachtragsverfahren)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.924 LG München II 12.05.2011 JuNSV Bd.XLIX S.227

 

Lfd.Nr.924    LG München II    12.05.2011    JuNSV Bd.XLIX S.363

 

Hiergegen kann nicht eingewandt werden, dass die Tötungsmaschinerie schon in vollem Gange war, als der Angeklagte nach Sobibor abkommandiert wurde 233, dass es auch ohne den Angeklagten zur Judenvernichtung ebenso gekommen wäre und statt seiner ein anderer Trawniki-Mann nach Sobibor geschickt worden wäre, oder dass die übrigen Männer zur Verwirklichung des Tatplans ausreichend gewesen wären. Das ändert nichts daran, dass der Angeklagte durch seinen tatsächlich geleisteten Tatbeitrag die Ermordung der Juden, die mit den jeweiligen Transporten ins Lager gebracht wurden, gefördert hat 234. Auch das Gewicht der Einzeltätigkeit für den Gesamtplan berührt nicht die Erfüllung des Tatbestandes der Beihilfe, sondern ist erst für die Strafzumessung von Bedeutung 235. Auf einen kausalen Ursachenzusammenhang zwischen Förderbeitrag und der Vollendung der Haupttat kommt es gerade nicht an.

 

b) Mordmerkmale und Beihilfe

 

Mord ist ein eigener Tatbestand und nicht qualifizierter Totschlag 236; die Mordmerkmale sind daher strafbarkeitsbegründend und führen beim Teilnehmer unabhängig von der Frage, inwieweit Mordmerkmale persönliche Merkmale i.S. des §28 StGB darstellen, zur Strafbarkeit wegen Beihilfe zum Mord 237. Der Beihelfer muss nicht selbst grausam gehandelt haben 238.

 

3. Subjektiver Tatbestand

 

Der Angeklagte handelte vorsätzlich.

 

Er wusste, dass er durch seine Wachtätigkeit die Ermordung der Juden förderte. Der Angeklagte musste nicht die Herkunft und die genaue Zahl der ankommenden und in den Gaskammern zu tötenden und schliesslich zu Tode gekommenen Juden wissen 239. Er konnte aber anhand der Anzahl ankommender Waggons und der Zahl der Menschen, die aus jedem Waggon herausgetrieben wurden, in etwa abschätzen, wie hoch die Zahl der Ermordeten sein würde. Der Angeklagte musste nicht wissen, welche Personen in der Befehlshierarchie über ihm standen, und wer hierbei Täter oder Beihelfer war. Auch der Gehilfe des Gehilfen kann Beihilfe zur Tat leisten 240.

 

Dem Angeklagten waren auch alle Umstände bekannt, welche die Tötung der Juden als grausam qualifizieren; eine rechtliche Bewertung musste er nicht vornehmen können 241. Die

 

233 BGH v. 31.07.2003 - 5 StR 251/03, BGHR StGB §27 Abs.1 Hilfeleisten 25.

234 BGH v. 19.06.1956 - 1 StR 50/56, NStZ 1996, 485 (488); BGH v. 01.08.2000 - 5 StR 624/99, NJW 2000, 3010 (3012); BGH v. 07.08.2001 - 5 StR 259/01, BGHR StGB §27 Abs.1 Hilfeleisten 23; BGH v. 16.11.2006 - 3 StR 139/06, BGHR StGB §27 Abs.1 Hilfeleisten 27; LK/Schünemann §27 Rn 3.

235 BGH v. 16.11.2006 - 3 StR 139/06, BGHR StGB §27 Abs.1 Hilfeleisten 27.

236 BGH v. 09.11.1951, 2 StR 296/51; BGHSt. 1, 368 ff.

237 MK/Joecks §28 Rn 44; MK/Schneider §211 Rn 207.

238 BGH v. 04.03.1971 (Fn 217).

239 BGH v. 28.09.1954 - 1 StR 455/54, MDR (Dall.) 1955, 143; BGH v. 16.11.2006 - 3 StR 139/06, BGHR StGB §27 Abs.1 Vorsatz 10 (siehe auch Fn 235); LK/Schünemann §27 Rn 56; MK/Joecks §27 Rn 75.

240 OLG Hamburg v. 07.03.1952 - Ss 8/52, JR 1953, 27.

241 Zuletzt BGH v. 20.01.2011 - 3 StR 420/10, NStZ 2011, 399.