Justiz und NS-Verbrechen Bd.XX

Verfahren Nr.569 - 589 (1964 - 1965)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.579a LG Aurich 26.06.1964 JuNSV Bd.XX S.281

 

Lfd.Nr.579a    LG Aurich    26.06.1964    JuNSV Bd.XX S.362

 

Es besteht sogar ein erheblicher Verdacht, dass die Heydekruger SS unter Führung von Dr. Scheu und Struve die bei den ersten Selektionen (also Mitte Juli 1941) ausgesonderten Juden im Rahmen der Massenexekution bei Naumiestis miterschossen und die 60 bis 70 Juden aus Naumiestis und Vainutas, die man zur Arbeit ausgewählt hatte, gewissermassen "im Austausch" für die erschossenen alten und kranken Häftlinge nach Heydekrug gebracht hat. Das zeitliche Zusammentreffen zwischen der ersten Selektionswelle und der Erschiessungsaktion bei Naumiestis ist ganz auffallend. Die Massenexekution bei Naumiestis fand, wie oben erwähnt worden ist, höchstwahrscheinlich am 19.Juli 1941 statt. Genau an diesem Tage soll - nach der Aussage des Zeugen La. - die Selektion in Heydekrug gewesen sein. Die Aussonderungen in den Lagern Matzstubbern/Ullosen, Schillwen und Wersmeningken fallen in die gleiche Zeit. Über das Schicksal der Juden aus Matzstubbern hat der Zeuge Bal., der damals Gendarmeriehauptwachtmeister in Coadjuthen war, in der Hauptverhandlung folgendes berichtet:

"Einige Wochen vor Beginn des Russlandfeldzuges hatten wir mehrere Hilfspolizisten bekommen. Eines Tages mussten wir drei oder vier Männer nach Matzstubbern abstellen. Als sie am nächsten Tag zurückkamen, erzählten sie uns, sie wären bei einer Aussonderung der Juden in Matzstubbern dabei gewesen und hätten den Transport der arbeitsunfähigen Juden nach Neustadt begleiten müssen. Sie erzählten uns, dass die SS aus Heydekrug nach Matzstubbern gekommen sei. Es sollen 15 oder 20 Juden ausgesondert und hinter Neustadt erschossen worden sein. Wie die Hilfspolizisten uns erzählten, waren sie zugegen, als die Heydekruger SS die Erschiessung durchführte. Bei den Hilfspolizisten handelte es sich um dienstverpflichtete Männer, die nicht aus dem Kreis Heydekrug waren. Sie waren drei oder vier Wochen vor Feldzugsbeginn zu uns gekommen."

Das zeitliche Zusammentreffen zwischen der Massenexekution bei Neustadt und der ersten Selektionswelle und die vorstehend wiedergegebene Aussage des Zeugen Bal. begründen den schweren Verdacht, dass die Heydekruger SS die ausgesonderten Juden im Zusammenhang mit der Aktion im Raum Naumiestis/Vainutas erschossen hat. Da indessen weitere Beweismittel in dieser Richtung nicht vorliegen, insbesondere die an der Erschiessungsaktion bei Naumiestis beteiligten deutschen Zeugen von einer Tötung von Juden aus den Arbeitslagern sämtlich nichts wissen wollen, hat sich das Schwurgericht nicht in der Lage gesehen, eine entsprechende Feststellung zu treffen.

 

Für die Annahme, dass die von der Aussonderung betroffenen Juden alsbald getötet wurden, spricht ferner die Tatsache, dass alle in der Hauptverhandlung vernommenen jüdischen Zeugen diese Männer niemals wiedergesehen und auch niemals wieder ein Lebenszeichen von ihnen vernommen haben, obwohl sich sehr viele gute Bekannte und sogar nahe Angehörige (z.B. Väter und Brüder) unter ihnen befanden. Ferner spricht hierfür der Umstand, dass in einer Reihe von Fällen die Oberbekleidung der abtransportierten Juden in das Lager zurückkam und von den Insassen wiedererkannt wurde. Es ist in diesem Zusammenhang auch bezeichnend, dass die Lagerwachmannschaften mehrfach miteinander oder gegenüber dritten Personen von der Tötung der ausgesonderten Juden sprachen und sich gelegentlich sogar rühmten, selbst daran teilgenommen zu haben. Wie der Zeuge Si. berichtet, unterhielten sich zwei junge SS-Männer im Lager Schillwen am Abend nach der ersten Selektion vor der Baracke darüber, was es für ein Spass gewesen sei, die Juden zu erschiessen. Als die Zeugin Kü. in Matzstubbern einen SS-Mann nach dem Schicksal des Juden Laiser aus Vainutas fragte, der aus dem Lager weggebracht worden war, antwortete jener: "Den haben wir zu Jesus geschickt!" Wie die Zeugin angibt, war dies eine beliebte Redensart bei den SS-Leuten. Es ist auch wiederholt vorgekommen, dass wohlmeinende SS- oder SA-Leute die Juden warnten, sich für eine Rückkehr "nach Hause" zu melden. Die Zeugen La., David Go. und Jo. haben hierüber nähere Angaben gemacht. Andererseits drohten die Wachleute und Vorarbeiter in Matzstubbern/Ullosen den Juden, die ihr Arbeitssoll nicht erfüllt hatten, offen damit, dass sie "nach Hause" kämen, wenn dies noch einmal vorkomme, wie der Zeuge Hal. glaubhaft bekundet hat.

 

Die Hauptverhandlung hat ferner eindeutig ergeben, dass die Juden in den Lagern grosse