Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam
Lfd.Nr.579a LG Aurich 26.06.1964 JuNSV Bd.XX S.358
hätte. Er sei mit dem Einsatz der Juden nicht einverstanden gewesen und habe deshalb seinen Vizepräsidenten beauftragt, dafür zu sorgen, dass die Lager wieder verschwänden.
Die Feststellungen über den Abtransport der Juden im Juli 1943 beruhen auf der Einlassung des Angeklagten Dr. Scheu, der Aussage des Zeugen Jog. und den Bekundungen der in der Hauptverhandlung vernommenen jüdischen Zeugen.
X. Die Aussonderungen von arbeitsunfähigen jüdischen Häftlingen
1. Tatsächliche Feststellungen
Während des Bestehens der Judenlager in der Zeit von Ende Juni 1941 bis Ende Juli 1943 fanden in unregelmässigen Abständen Aussonderungen (Selektionen) von älteren und kranken Häftlingen statt. Dies geschah zum Teil in der Weise, dass die Häftlinge, die sich nicht wohl fühlten, Gelegenheit erhielten, sich zu melden; man versprach ihnen, dass sie nach Hause kämen. Zum Teil griff man mehr oder weniger willkürlich einzelne Häftlinge nach oberflächlicher Betrachtung heraus und erklärte sie für arbeitsunfähig. Die aussortierten Juden wurden auf Lastkraftwagen verladen und mit unbekanntem Ziel über die litauische Grenze gefahren.
Solche Selektionen wurden mindestens zu drei verschiedenen Zeiten, nämlich Mitte Juli 1941, im Herbst 1941 und im Spätsommer oder Herbst 1942, unter den Juden durchgeführt.
Die ersten Selektionen fanden etwa drei Wochen nach der Festnahme der Juden in Sveksna, Vevirzeniai, Kvedarna und Laukova, also Mitte Juli 1941, in den Lagern Jahnstrasse, Bürgermeisteramt, Matzstubbern/Ullosen, Schillwen und Wersmeningken statt.
Im Lager Jahnstrasse wurde eine Reihe von älteren Juden ausgewählt. Nähere Einzelheiten hat das Schwurgericht nicht feststellen können. Insbesondere ist ungeklärt geblieben, wer die Selektionen vorgenommen hat und wie viele Häftlinge dabei aussortiert wurden.
Von den Juden, die im Lager beim Bürgermeisteramt untergebracht waren, wurde der eine Teil im Lager und der andere Teil an der Arbeitsstelle auf dem Stadtgut Matzicken von der Aussonderung betroffen. Im Lager nahm der Angeklagte Jagst die Selektion vor. Er suchte zunächst die älteren Juden heraus. Dann liess er die übrigen Juden eine Art Wettlauf machen und schickte diejenigen, die nicht schnell genug laufen konnten, ebenfalls zur Seite. Die Zahl der von Jagst ausgesuchten Juden ist unbekannt. Auf dem Stadtgut Matzicken nahmen die Angeklagten Dr. Scheu und Jagst gemeinsam die Aussonderung vor; möglicherweise waren noch andere SS-Männer daran beteiligt. Dr. Scheu und Jagst sahen sich die Leute an und schickten diejenigen, die alt oder schwach aussahen, sofort auf einen bereitstehenden Lastwagen. Bei dieser Gelegenheit wurden 15 bis 20 Mann abtransportiert. Als die übrigen Juden am Abend des Tages in die Baracke zurückkehrten, fanden sie dort die Kleidungsstücke der ausgesonderten Männer vor.
Im Lager Matzstubbern/Ullosen erschienen Dr. Scheu und Jagst und möglicherweise noch andere SS-Leute. Sie sagten den Juden, dass alle alten Leute und diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen oder aus Mangel an Erfahrung nicht körperlich arbeiten könnten, sich melden sollten; sie würden nach Hause gebracht werden. Es meldete sich darauf eine Anzahl Männer. Ausserdem suchten Dr. Scheu und Jagst noch welche heraus. Insgesamt wurden mindestens zwölf Juden ausgesucht und in einer Namensliste erfasst. Die Männer wurden nach ein oder zwei Tagen abtransportiert. Kurze Zeit darauf kam ihre Kleidung in das Lager zurück.
In Schillwen fuhr der Angeklagte Jagst mit einem Lastwagen zu der Strassenbaustelle, an der die Juden arbeiteten. Auf dem Wagen befand sich schon etwa ein Dutzend Juden aus einem anderen Lager (wahrscheinlich Matzstubbern). Jagst suchte auf der Baustelle noch etwa zwölf Juden aus, u.a. auch den Vater des Zeugen Si. Dann fuhr er mit den ausgesonderten Männern davon. Als die Juden, die an der Baustelle zurückgeblieben waren, abends in das Lager kamen, fanden sie dort die Kleidung der abtransportierten Männer vor. Der Zeuge Si. erkannte die Jacke seines Vaters und