Justiz und NS-Verbrechen Bd.XX

Verfahren Nr.569 - 589 (1964 - 1965)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.579a LG Aurich 26.06.1964 JuNSV Bd.XX S.281

 

Lfd.Nr.579a    LG Aurich    26.06.1964    JuNSV Bd.XX S.354

 

im Kreis Heydekrug befanden, im Lager Kallwellischken gesammelt und von dort unter SS-Bewachung zum Güterbahnhof geführt. Es waren etwa 280 bis 300 Mann. Dr. Scheu hielt - entweder in Kallwellischken oder auf dem Bahnhof - eine Ansprache und warnte die Häftlinge vor etwaigen Fluchtversuchen. Dann wurden die Juden in die bereitgestellten Güterwagen verladen. Nach einigen Tagen Fahrt kamen sie in Auschwitz-Birkenau an. Hier nahmen SS-Ärzte noch auf der Rampe eine Selektion vor. Die kräftigen Juden kamen ins Lager, die übrigen wurden sofort vergast. Ein Teil der Überlebenden, darunter die 16 in der Hauptverhandlung vernommenen jüdischen Zeugen, kam im Herbst 1943 nach Warschau und wurde dort bei Aufräumungsarbeiten eingesetzt. Die Männer blieben auch in der Folgezeit zusammen. Sie wurden im Sommer 1944 in das Konzentrationslager Dachau verlegt und von dort auf Aussenarbeitsstellen zur Arbeit eingesetzt. Kurz vor Kriegsende wurden sie in Seeshaupt am Starnberger See von den Amerikanern befreit.

 

2. Beweiswürdigung

 

Der Angeklagte Dr. Scheu lässt sich dahin ein, die Juden seien nach ihrer Ankunft im Kreis Heydekrug durch den Landrat auf die einzelnen Baustellen des Kreises verteilt worden. Er, Dr. Scheu, habe auf die Verteilung der Juden keinen Einfluss gehabt. Im ganzen seien etwa 300 Juden in der Stadt Heydekrug und in der Umgebung beschäftigt worden. Der Landrat habe gleich zu Anfang 40 bis 50 Juden an die Stadt abgegeben. Die übrigen Juden seien auf kreiseigenen Baustellen und auf Baustellen von Firmen, die für den Kreis arbeiteten, beschäftigt worden. Die Verwaltung der Lager habe zunächst beim Landratsamt gelegen. Der Kreisinspektor Bu. habe auf Grund einer Übereinkunft zwischen dem kommissarischen Landrat Schm. und dem Angeklagten Struve die Aufsicht über die Judenlager ausgeübt. Die Wachmänner seien vom Kreis eingestellt und besoldet worden. Sie hätten von Struve die Genehmigung erhalten, beim Wachdienst die SS-Uniform zu tragen, soweit sie Mitglieder der SS waren. Im September 1941 hätte es gewisse Schwierigkeiten gegeben, weil einige Wachmänner nach Alkoholgenuss Übergriffe gegen die Juden begangen hätten, für die man in der Bevölkerung die SS als Formation verantwortlich gemacht habe. Er, Dr. Scheu, habe Struve über diese Vorfälle berichtet. Daraufhin habe Struve ihn gebeten, selbst die Lageraufsicht zu übernehmen. Er, Dr. Scheu, habe sich dazu unter der Bedingung bereit erklärt, dass er einen zuverlässigen Mann als Lagerleiter bekäme. Er habe für diesen Posten den Schachtmeister Buttgereit vorgeschlagen, der ein ruhiger Mann gewesen sei und schon vorher auf einer Baustelle des Kreises mit Juden gearbeitet hätte. Zur gleichen Zeit sei auch ein Gestapo-Beamter (wahrscheinlich Kriminalkommissar Harms) zu ihm gekommen. Dieser habe gefordert, es müsse eine zentrale Stelle geschaffen werden, die für die Judenlager zuständig sei und mit der die Gestapo verhandeln könne. So habe er Ende Oktober/Anfang November 1941 die Aufsicht über die Lager übernommen. Der Landkreis habe nun keinen direkten Einfluss mehr auf die Verteilung der Juden gehabt, sondern die Arbeitskräfte bei der SS-Lagerverwaltung angefordert. Als er, Dr. Scheu, die Lageraufsicht übernommen habe, seien im Kreisgebiet noch etwa 280 bis 290 Juden gewesen; er habe die Zahl 287 in Erinnerung. Er habe die Juden registrieren lassen und Namenslisten an die Gestapo Tilsit geschickt. Die Gestapo habe ihm auch eine schriftliche Dienstanweisung gegeben. Während er, Dr. Scheu, die Aufsicht über die Judenlager hatte, hätten nur die Lager Jahnstrasse, Bürgermeisteramt (später Markthalle), Kallwellischken, Hermannlöhlen, Russ und Warruss bestanden. Die Lager Piktaten, Matzstubbern/Ullosen, Schillwen, Wersmeningken und Tennetal seien ihm unbekannt; sie hätten vielleicht früher bestanden, seien aber zu der Zeit, als er die Lageraufsicht übernahm, schon aufgelöst gewesen.

 

Der Angeklagte Struve gibt an, er habe mit der Aufsicht und Verwaltung der Lager nichts zu tun gehabt. Er sei nur einige Male im Lager Jahnstrasse gewesen. Er habe zwar gewusst, dass es noch andere Lager gab, habe diese aber niemals besucht. Als er erfahren habe, dass ein oder zwei Wachmänner die Juden geschlagen hatten, habe er Dr. Scheu gebeten, die Aufsicht über die Lager zu übernehmen. Wann dies gewesen sei, wisse er heute nicht mehr.

 

Der Angeklagte Jagst lässt sich dahin ein, der kommissarische Landrat Schm. habe