Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXIV

Verfahren Nr.732 - 746 (1970 - 1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.735b BGH 11.05.1971 JuNSV Bd.XXXIV S.347

 

Lfd.Nr.735b    BGH    11.05.1971    JuNSV Bd.XXXIV S.348

 

betraut, die am Bahnhof die Verladearbeiten durchführten. Wichtige Entscheidungen auch über diese Arbeitskolonne wurden von den Kommandanten des Hauptlagers Szebnie getroffen. Als einmal ein Häftling bei Verladearbeiten entfloh, erschien der Kommandant in Rymanow und ordnete als Vergeltungsmassnahme die Verprügelung der gesamten Kolonne an.

 

Etwa im Juli 1943 versammelten sich die letzten noch in Rymanow verbliebenen Häftlinge, ca. 40 bis 50, in der Nähe des Lagers, um auf ihren Abtransport nach Szebnie zu warten. Die Führung der Gruppe hatte der Angeklagte, der von einigen ukrainischen Hilfswilligen unterstützt wurde. Im Verlauf der Wartezeit flüchtete ein Häftling, wurde jedoch von den ukrainischen Bewachern, die der Angeklagte ihm sofort nachgeschickt hatte, ergriffen und zurückgebracht. Auf Befragen erklärte er, dass ein Mithäftling von seinem Fluchtplan gewusst habe. Daraufhin befahl der Angeklagte, den Geflohenen, dessen Bruder und den Mitwisser von dem Fluchtplan zu erschiessen. Der Befehl wurde von den ukrainischen Hilfswilligen in der Nähe des Warteplatzes hinter einem Hügel ausgeführt. Im Anschluss hieran hielt der Angeklagte eine Rede, in der er auch zum Ausdruck brachte, dass noch mehr getötet würden, wenn noch jemand fliehe.

 

Das Schwurgericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte auf Grund des von Hitler erteilten generellen Vernichtungsbefehls gehandelt habe, da er nach seiner Persönlichkeit ohne diesen Befehl von sich aus keine Tötung begangen hätte; insoweit deuteten zwar viele äussere Umstände auf eine Täterschaft des Angeklagten hin, der selbst aus niedrigen Beweggründen gehandelt habe, aber seine innere Einstellung spreche überwiegend für einen Gehilfenwillen, so dass er, da letzte Zweifel nicht auszuschliessen seien, nur der Beihilfe zum Mord für schuldig erachtet werden könne.

 

Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft haben gegen das Urteil Revision eingelegt. Der Angeklagte rügt die Verletzung von Verfahrensvorschriften und des sachlichen Rechts; die von dem Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft erhebt ebenfalls die Sachbeschwerde. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

 

B. Die Revision des Angeklagten

 

I. « Verfahrensrügen »

 

Die Verfahrensrügen gehen fehl.

 

1. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Vorschrift des §244 Abs.3 StPO dadurch verletzt sein soll, dass über den geschichtlichen Hintergrund der in Rede stehenden Taten keine Beweise erhoben worden sind. Der Beschwerdeführer hat selbst nicht vorgetragen, dass er einen dahingehenden Beweisantrag gestellt hat, der wegen Offenkundigkeit abgelehnt worden ist. Auch als Aufklärungsrüge (§244 Abs.2 StPO) könnte diese Beanstandung nicht durchdringen. Das Schwurgericht hat zutreffend dargelegt, dass die Entwicklung der Judenfrage, die Diskriminierung der jüdischen Rasse, die Judenverfolgung sowie das "Endziel" der nationalsozialistischen Gewalthaber und die Art, wie dieses Ziel erreicht werden sollte, geschichts- und damit offenkundig sind, so dass sie keines Beweises bedurften (UA S.24 142). Im übrigen handelt es sich darüberhinaus auch um gerichtskundige Tatsachen, die in einer im wesentlichen unveränderten Weise immer wieder mit bestimmten strafrechtlich zu würdigenden Vorgängen verknüpft sind (BGH, Urteil vom 16.3.1971 - 1 StR 687/70 143 - unter Hinweis auf BGHSt. 6, 292, 294). Die allgemein gehaltene Bemerkung

 

142 = Seite 341 dieses Bandes.

143 Siehe Lfd.Nr.724b.