Justiz und NS-Verbrechen Bd.XX

Verfahren Nr.569 - 589 (1964 - 1965)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.579a LG Aurich 26.06.1964 JuNSV Bd.XX S.281

 

Lfd.Nr.579a    LG Aurich    26.06.1964    JuNSV Bd.XX S.347

 

Schmidt 97, die beide bereits rechtskräftig wegen Beihilfe zum Mord verurteilt sind) geleistet haben, ist ihr Verhalten als gemeinschaftliche Beihilfe zum Mord anzusehen.

 

bb. Keine wirklichen oder vermeintlichen Rechtfertigungsgründe

 

Die Rechtswidrigkeit der Massenerschiessung wird auch bei den Angeklagten Dr. Scheu und Struve nicht durch Rechtfertigungsgründe beseitigt. Die Rechtfertigungsgründe der Staatsnotwehr (§53 StGB), des übergesetzlichen Notstandes, des Staatsnotstandes (§54 StGB) und der kriegsrechtlichen Repressalie liegen aus den schon bei den Haupttätern erörterten Gründen nicht vor.

 

cc. Kenntnis des verbrecherischen Zwecks des Befehls (§47 MStGB)

 

Die Verantwortlichkeit der Angeklagten Dr. Scheu und Struve wird durch die Vorschrift des §47 MStGB, die auch bei ihnen anzuwenden ist, nicht ausgeschlossen.

Nach §47 Abs.1 MStGB ist der befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich, wenn durch die Ausführung eines Befehls in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt wird. Den gehorchenden Untergebenen trifft jedoch nach §47 Abs.2 Satz 2 MStGB die Strafe des Teilnehmers, wenn er den Befehl überschritten hat oder wenn ihm bekannt gewesen ist, dass der Befehl eine Handlung betraf, die ein allgemeines oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte.

Die Kenntnis des Untergebenen im Sinne des §47 Abs.1 Satz 2 Ziff.2 MStGB bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des früheren Reichskriegsgerichts und des Bundesgerichtshofes sicheres Wissen um den verbrecherischen Zweck des Befehls (BGHSt. Bd.5 S.239 ff. und Bd.10 S.294 ff.).

Nach der Überzeugung des Schwurgerichts haben Dr. Scheu und Struve schon vor dem Einsetzen ihres Tatbeitrages dieses sichere Wissen um den verbrecherischen Zweck des Befehls gehabt. Denn sie wussten, dass die Juden ohne Gerichtsurteil und nur deshalb erschossen werden sollten, weil sie Juden waren, die zur Arbeit nicht taugten oder nicht benötigt wurden. Hieraus mussten sie ohne weiteres schliessen und haben sie nach der Überzeugung des Schwurgerichts auch ohne weiteres geschlossen, dass die Durchführung des Befehls die Begehung eines Verbrechens zur Folge haben werde und dass die Befehlsgeber mit diesem Befehl die Ausführung eines Verbrechens, und zwar eines strafbaren Tötungsverbrechens, bezweckten.

 

dd. Kein Befehlsnotstand

 

Die Angeklagten haben sich weder in einem wirklichen Befehlsnotstand (§52 StGB) noch in einem vermeintlichen Befehlsnotstand (Putativnotstand) befunden.

Der sogenannte Befehlsnotstand ist ein Unterfall des allgemeinen Nötigungsnotstandes. Er setzt daher gemäss §52 Abs.1 StGB voraus, dass der Täter durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden war, zu der Handlung genötigt worden ist.

Eine solche dem §52 Abs.1 StGB entsprechende unausweichliche Zwangslage ist nicht schon dann gegeben, wenn Leib oder Leben des Täters für den Fall, dass er die Ausführung des Befehls verweigert hätte, tatsächlich ernsthaft gefährdet gewesen wäre. Erforderlich ist vielmehr, dass der Täter in dem Bewusstsein dieser Gefahr und in dem Bestreben, ihr auszuweichen, sich zu der befohlenen Handlung entschloss. Der Umstand, dass sich die Handlung als einziger Ausweg aus der gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben darbot, muss also gerade zu ihr geführt haben.

Handelte der Täter trotz der an sich bestehenden Gefahr nicht, um ihr auszuweichen, sondern aus anderen Beweggründen, so ist §52 StGB nicht anwendbar (vgl. OGHSt. Bd.1 S.313, BGHSt. Bd.3 S.275). Schliesslich setzt der Entschuldigungsgrund des Befehlsnotstandes (oder Putativnotstandes) voraus, dass der Täter sich nach allen seinen Kräften gewissenhaft bemüht hat, der Gefahr (oder der vermeintlichen Gefahr) auf andere, die Straftat vermeidende Weise zu entgehen. Je schwerer die abgenötigte Straftat ist, um so strengere Anforderungen sind an diese Prüfung zu stellen. Der Täter muss hierbei alle seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten eingesetzt haben (vgl.

 

97 Siehe Lfd.Nr.511.