Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam
Lfd.Nr.579a LG Aurich 26.06.1964 JuNSV Bd.XX S.345
Indessen kommt es auf die Frage nach der Person der Haupttäter nicht entscheidend an, weil diese, wer sie auch gewesen sein mögen, des Mordes schuldig sind.
bb. Mord nach §211 StGB alter und neuer Fassung
Die Haupttäter haben die Voraussetzungen des §211 StGB a.F. (Handeln mit Überlegung) erfüllt. Aus der vorausschauenden Planung und der organisatorischen und technischen Vorbereitung der Massenexekution ergibt sich zwingend, dass die Haupttäter unter Abwägung des Für und Wider, also mit Überlegung gehandelt haben.
Die Haupttäter haben ferner aus niedrigen Beweggründen im Sinne des §211 StGB n.F. gehandelt, also aus Gründen, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, durch ungehemmte, triebhafte Eigensucht bestimmt wurden und deshalb besonders verwerflich, ja verächtlich sind (BGHSt. Bd.3 S.132 ff.).
Der Beweggrund für die Massenexekution der Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht war ein erbarmungsloser Rassenhass, der nach allgemeiner sittlicher Wertung auf der tiefsten Stufe steht und kaum noch zu unterbieten ist (BGHSt. Bd.2 S.251 ff. (254)).
cc. Keine Rechtfertigungsgründe
Die Massenerschiessung bei Naumiestis war sowohl nach Völkerrecht als auch nach innerstaatlichem Recht objektiv rechtswidrig.
Bei allen zivilisierten Völkern gehört es zu dem unantastbaren und keine Ausnahme duldenden Kernbereich des Rechts, der unabhängig von ausdrücklicher Anerkennung in völkerrechtlichen Abkommen und innerstaatlichen Gesetzen und Anordnungen gilt, dass einem Menschen, selbst wenn er ein todeswürdiges Verbrechen begangen hat, sein Leben nur in Vollziehung eines auf Todesstrafe lautenden Urteils genommen werden darf, dem ein Verfahren vorangegangen ist, in dem ihm das rechtliche Gehör gewährt war und das den Nachweis seiner Schuld erbracht hat (BGHSt. Bd.2 S.333 ff. (334)). Schon wegen des Verstosses gegen diesen Kernbereich des Rechts haben die Haupttäter rechtswidrig gehandelt.
Die Massenexekution der Juden verstiess auch gegen die damals gültigen Regeln des Völkerrechts. Sie verstiess insbesondere gegen mehrere Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung, nämlich gegen Artikel 23b (Verbot der meuchlerischen Tötung von Angehörigen des feindlichen Volkes), gegen Artikel 43 (Pflicht zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung unter Beachtung der Landesgesetze), gegen Artikel 46 (Schutz für das Leben der Bürger) und gegen Artikel 50 (Verbot von Kollektivbestrafungen). Aber selbst wenn die Landkriegsordnung auf den Krieg zwischen Deutschland und der Sowjetunion keine Anwendung finden sollte, weil nicht alle am zweiten Weltkrieg beteiligten Staaten dem Haager Abkommen beigetreten waren, war die Massenerschiessung der Juden schon deshalb völkerrechtswidrig, weil die erwähnten Bestimmungen der Landkriegsordnung allgemein verbindliche völkerrechtliche Grundsätze enthalten, die der Bevölkerung eines im Kriege befindlichen oder besetzten Staates einen gewissen Mindestbestand an Rechten gewährleisten, deren Verletzung die Grenze zwischen Recht und Unrecht überschreitet. Denn "es gehört ... zu den gesicherten Erkenntnissen, dass keine kriegführende Macht und keine Besatzung in ihrem Tun und Lassen rechtlich völlig ungebunden ist; auch sie unterliegt vielmehr rechtlichen Schranken. Diese ergeben sich einerseits aus dem nicht missbilligten Bestreben, völkerrechtlich anerkannte Kriegs- und Besatzungszwecke zu erreichen, andererseits aber, wie es Abs.9 der Einleitung der LKO ausdrückt, aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und den Forderungen des öffentlichen Gewissens. Ein solches Recht höherer Rangordnung, wie es den Handlungen der Kriegführenden und der Besatzungen gewisse Schranken setzt, steht ebenso als unantastbarer Kernbereich des Rechts auch über jedem innerstaatlichen Recht" (BGHSt. Bd.1 S.391 ff. (399)).
Die Rechtswidrigkeit der Massenexekution wird auch nicht durch irgendwelche Rechtfertigungsgründe, etwa in der Form der Staatsnotwehr (§53 StGB), des übergesetzlichen Notstandes, des Staatsnotstandes (§54 StGB) oder der kriegsrechtlichen Repressalie