Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLIX

Verfahren Nr.920 - 924 (2002 - 2012), 880 (Erratum), 950 - 959 (1945 - 1960; Nachtragsverfahren)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.924 LG München II 12.05.2011 JuNSV Bd.XLIX S.227

 

Lfd.Nr.924    LG München II    12.05.2011    JuNSV Bd.XLIX S.343

 

1943 gewesen sein müssen. Dies ergibt sich unter anderem daraus, dass die in dem Dienstausweis eingetragene Grösse von 175 cm, die - offenbar aufgrund eines Eintragungsfehlers - nach dem persönlichen Eindruck des bereits betagten Angeklagten und auch nach der Angabe von Daniltschenko um mindestens 10 cm zu klein angegeben ist, auch in dem Fahndungsaufruf übernommen wurde. Ausserdem ist aus dem Dienstausweis Nummer 1393 die Abkommandierung nach Flossenbürg nicht ersichtlich. Der Hinweis auf ein vorhandenes Foto spricht ebenfalls dafür, dass der Dienstausweis in den Besitz der sowjetischen Behörden gelangt war.

 

Hinsichtlich des Fotos wird dies auch bestätigt durch den Fahndungsaufruf vom 29.Juli 1952, der die Personendaten des Angeklagten unter der laufenden Nummer 12 auflistet und - von der nunmehr neuen Erwähnung der Eltern und der Schwester des Angeklagten abgesehen - denselben Inhalt wie der Fahndungsaufruf von 1948 aufweist. Bei dem neben diesem Fahndungsaufruf von 1952 abgedruckten Portraitfoto handelt es sich nach dem gesamten Erscheinungsbild der abgebildeten Person um eine Reproduktion des Fotos aus dem Dienstausweis, wobei im Bereich des rechten Kragenspiegels am linken unteren Ende des Bildes auch eine graue, leicht rundlich erscheinende Linie erkennbar ist, die mit dem Stempelabdruck auf dem Originalfoto korrespondiert und daher zwanglos diesem Foto zuzuordnen ist.

 

Für ein gezieltes Fälschungskonstrukt durch die sowjetischen Behörden zulasten des Angeklagten wäre schon ein motivationaler Hintergrund nicht nachvollziehbar. Ohne seine Zugehörigkeit zu den Trawniki-Wachmannschaften wäre der Angeklagte als Rotarmist keiner nach dem sowjetischen Recht strafbaren Kriegshandlungen verdächtig gewesen, weshalb eine Fokussierung auf seine Person keinen Sinn gemacht hätte. Hätten die sowjetischen Behörden gleichwohl zu diesem Zeitpunkt Interesse daran gehabt, um die Person des Angeklagten einen gefälschten Lebenslauf speziell hinsichtlich der Kriegsjahre aufzubauen, um ihn in der Sowjetunion strafrechtlich verfolgen zu können, so läge es nahe, dass in den nach dem 31.August 1948 erfolgten Ermittlungshandlungen dann gezielt - gegebenenfalls unter entsprechenden Repressalien - auf eine (fälschliche) Belastung des Angeklagten hingewirkt worden wäre.

 

Von den beiden Erwähnungen der Personendaten des Angeklagten in den Vernehmungen des Daniltschenko und des Litwinenko abgesehen, bei denen im Übrigen auch nicht auf eine detaillierte Beschreibung der Tätigkeiten des Angeklagten oder deren Niederlegung im Protokoll Wert gelegt wurde, weisen die übrigen Vernehmungsprotokolle, die teilweise eine Vielzahl von Namen anderer Wachmänner enthalten, gerade nicht die Personendaten des Angeklagten auf.

 

Es liegt daher fern, dass die sowjetischen Behörden seinerzeit Daniltschenko zur falschen Anschuldigung gegenüber dem Angeklagten gezwungen oder schlicht fälschlicherweise ein solches Protokoll erstellt hätten, ohne diese niedergelegten Hinweise dann auch durch weitere Repressalien oder Fälschungen im Zusammenhang mit der Vernehmung von anderen Personen zu untermauern.

 

Unabhängig von diesen Überlegungen ist auch zu berücksichtigen, dass die sowjetischen Behörden zum damaligen Zeitpunkt keinen Überblick haben konnten über das vorhandene zeitgeschichtliche Material, welches sich im Einflussgebiet der west-alliierten Besatzungsmächte sichern und archivieren liess, so dass im Hinblick auf die vielschichtigen Querverbindungen zwischen zahlreichen zeitgeschichtlichen Dokumenten ein bereits frühzeitig in den ersten Nachkriegsjahren angelegtes Fälschungskonstrukt jedenfalls dann nicht mehr plausibel ist, wenn sich solche Querverbindungen auch hinsichtlich von Dokumenten herstellen lassen, die dem sowjetischen Einflussbereich von Anfang an entzogen waren.