Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam
Lfd.Nr.579a LG Aurich 26.06.1964 JuNSV Bd.XX S.342
Dieser Beweggrund für die Massenexekution der Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht steht nach allgemeiner sittlicher Wertung auf der tiefsten Stufe und ist kaum noch zu unterbieten. Die Angeklagten haben dadurch die menschliche Persönlichkeit in gröbster Weise missachtet und die sittliche Verantwortung, vor die jedermann gestellt ist, bewusst so stark verleugnet, dass der Antrieb ihres Tuns keinerlei Rechtfertigung oder Verständnis, sondern nur noch Verachtung verdient (BGHSt. Bd.2 S.251 ff. (254)).
Aber selbst wenn man unterstellt, dass Dr. Scheu und Struve sich nicht aus Judenhass an den Exekutionen beteiligten, würde das Motiv ihres Handelns als niedriger Beweggrund anzusehen sein. Denn die Angeklagten begingen die Tat ersichtlich in der Erwartung, damit kein persönliches Risiko einzugehen, insbesondere nicht nachhaltig zur Rechenschaft gezogen und bestraft zu werden, weil sie damit rechneten, dass ihr Verhalten den Beifall der vom Ungeiste des Rassenhasses erfüllten nationalsozialistischen Staatsführung finden werde. Sie haben sich daher den Rassenhass der damaligen Machthaber bewusst zunutze gemacht. Auch das ist ein Handeln aus niedrigen Beweggründen (BGHSt. Bd.18 S.37 ff. (39)).
Für die Frage, ob die Tatbeiträge von Dr. Scheu und Struve als deren eigene Tat (Mittäterschaft) oder als Unterstützung einer fremden Tat (Beihilfe) aufzufassen sind, kommt es nach der von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes übernommenen "Subjektiven Theorie" auf die Willensrichtung der Angeklagten an. Entscheidend ist also, ob diese mit Täterwillen (animus auctoris) oder mit Gehilfenwillen (animus socii) gehandelt haben.
Diese Willensrichtung ist, wie der Bundesgerichtshof ausgeführt hat, keine einfache innere Tatsache (BGHSt. Bd.8 S.393 ff. (396)). Denn rechtserheblich ist nicht, ob der Beteiligte die Tat als eigene gewollt hat, sondern ob er die Tat unter Vorstellungen gewollt hat, wonach er sie als eine eigene zu empfinden hatte (so: Nowakowski, Tatherrschaft und Täterwille, JZ 1956 S.545 ff. (547)). Diese Objektivierung des massgeblichen Urteils zwingt dazu, den Willen des Beteiligten auf Grund aller Umstände, die von seiner Vorstellung umfasst waren, wertend zu ermitteln. Dabei sind als wesentliche Anhaltspunkte nicht nur das eigene Interesse des Beteiligten am Erfolg der Tat, sondern auch der Umstand zu berücksichtigen, wieweit er den Geschehensablauf mitbeherrschte, so dass Durchführung und Ausgang der Tat massgeblich auch von seinem Willen abhingen. War der Täter ohne eigenes Interesse an dem Erfolg der Tat, so kann seine Einstellung zu ihr trotzdem aus anderen Gründen als "Täterwille" zu beurteilen sein. Umgekehrt begründet das eigene Interesse allein nicht den "Täterwillen", wenn der Beteiligte keinen genügenden Einfluss darauf hätte, ob, wann und wie die Tat ausgeführt wurde.
Zur Frage des eigenen Interesses am Erfolg der Tat ist zunächst zu bemerken, dass Dr. Scheu und Struve nach ihrer unwiderlegten Einlassung auf Grund einer Anordnung der Gestapo an der Aktion teilnahmen, die sich allerdings nicht auf die Gestellung eines Exekutionskommandos, sondern auf die Mitwirkung bei "Absperr- und Hilfsmassnahmen" bezog. Dieser (angebliche) Befehl der Gestapo verpflichtete die Angeklagten nicht dazu, eine führende Rolle am Erschiessungsplatz zu übernehmen und sich mit ihren SS-Männern an den Exekutionen zu beteiligen. Demnach hätten die Angeklagten eine so weitgehende Mitwirkung an der Aktion unterlassen können, ohne sich mit dem (angeblichen) Befehl der Gestapo in Widerspruch zu setzen.
Freilich lässt sich die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass sich die Angeklagten wegen ihrer nationalsozialistischen Einstellung und infolge eines übertriebenen Pflichtbewusstseins unter den am Erschiessungsplatz angetroffenen Verhältnissen (Abwesenheit eines Gestapooffiziers, Mangel an Erschiessungspersonal oder doch an treffsicheren Schützen) auf Grund des (angeblichen) Gestapobefehls für verpflichtet hielten, die Leitung der Aktion zu übernehmen, ihre SS-Männer an den Erschiessungen mitwirken zu lassen und sich schliesslich sogar selbst an den Exekutionen zu beteiligen, um den reibungslosen Ablauf der Aktion zu ermöglichen. Diese Fehlvorstellung mag bei dem Angeklagten Dr. Scheu dadurch begünstigt worden sein, dass er als Memelländer mit den Kompetenzen der Gestapo und der allgemeinen SS noch nicht hinreichend vertraut war und dass er bis dahin auch noch keine militärische Ausbildung durchgemacht hatte,