Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXIV

Verfahren Nr.732 - 746 (1970 - 1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.735a LG München I 18.06.1970 JuNSV Bd.XXXIV S.331

 

Lfd.Nr.735a    LG München I    18.06.1970    JuNSV Bd.XXXIV S.340

 

Wahrnehmungen unter seelischem Druck, wie Angst, Schreck oder Wut mache. Hier könne es zu Fehldarstellungen kommen. Es können falsche Bilder entstehen.

 

Zum anderen sei allerdings zu sagen, dass gerade das unter solchen Bedingungen Wahrgenommene besonders gut im Gedächtnis haften bleibe. Besondere Vorsicht sei bei Zeugenaussagen zu beachten, die Bekundungen über Vorgänge enthalten, die sich vor längerer Zeit ereignet hätten.

 

All diese vom Sachverständigen vorgetragenen Erkenntnisse sind dem Schwurgericht bekannt und wurden bei der Würdigung der Zeugenaussagen beachtet. Es ist selbstverständlich, dass der lange Zeitablauf dazu geführt hat, dass sich die Zeugen an manche Einzelheiten der in Frage stehenden Vorgänge nicht mehr erinnern, zumal alle naturgemäss bemüht waren, die schrecklichen Vorkommnisse während ihrer Verfolgungszeit zu vergessen oder zu verdrängen. Das Gericht ist aber der Überzeugung, dass das, was die Zeugen ausgesagt haben, den tatsächlichen Vorkommnissen entspricht. Es ist eine Erfahrungstatsache, dass als unwesentlich erscheinende Begebenheiten vergessen werden, besonders markante Dinge aber unauslöschlich im Gedächtnis bleiben. Hinzu kommt, dass hier ein Vorgang zu schildern war, der vom Geschehensablauf her einfach war. Alle Zeugen wurden bereits im Laufe des Ermittlungsverfahrens vernommen. Das Schwurgericht konnte in ihren jetzigen und früheren Aussagen keine entscheidenden Widersprüche entdecken. Schliesslich konnte noch festgestellt werden, dass die Zeugen, soweit sie gleiche Vorgänge schilderten, auch hierin in den wesentlichen Punkten übereinstimmten. Es war auch nicht ersichtlich, dass sie gegen den Angeklagten irgendwelche Hassgefühle hegten.

 

Nicht Gegenstand der Urteilsfindung konnten dagegen die Bekundungen des Zeugen Ber. sein. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I hatte gegen ihn sowie Unt. in einem anderen Verfahren Anklage mit dem Vorwurf der Beteiligung an Häftlingserschiessungen in Szebnie erhoben. Wegen Verhandlungsunfähigkeit des Zeugen Ber. wurde das Verfahren gem. §205 StPO vorläufig eingestellt. Bezüglich des Angeklagten hat die Staatsanwaltschaft die Anklage zurückgenommen und das Verfahren im Hinblick auf die im vorliegenden Verfahren zu erwartende Strafe gem. §154 StPO eingestellt (Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft 116 Js 1/63 und 17/64). In der Hauptverhandlung war klar ersichtlich, dass der Zeuge Ber. eifrig bemüht war, seinen ehemaligen Kameraden zu entlasten. Der Zeuge verwickelte sich dadurch in erhebliche Widersprüche. Nachdem er zunächst erklärt hatte, er wisse mit Sicherheit, dass der Angeklagte zu keiner Zeit in Rymanow war, er könne dies deshalb so genau sagen, weil er selbst in Rymanow gewesen sei, musste er schliesslich zugeben, dass er zwar einmal in einem Aussenlager von Szebnie gewesen sei, er aber nicht mehr wisse, ob dieses Lager Rymanow geheissen habe.

 

Diese unsichere und widersprüchliche Aussage des Zeugen Ber. konnte gegenüber den sicheren und eindeutigen Bekundungen der übrigen Zeugen keine Bedeutung haben. Hinzu kommt noch, dass nach dem ausführlichen und überzeugenden Gutachten des Regierungsmedizinaldirektors Dr. Dah. der Zeuge Ber. nicht mehr in der Lage ist, sich eine Vorstellung über den Sinn und die Bedeutung des Eides zu machen. Der Sachverständige hat ausgeführt, er habe den Zeugen am 29.1.1970 untersucht (dieses Gutachten führte zur vorläufigen Einstellung des Verfahrens gegen Ber.). Seit diesem Zeitpunkt habe sich sein Zustand wesentlich verschlechtert. Der Zeuge sei Hirnverletzter und leide an fortschreitender Cerebralsklerose. Von der Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen konnte sich das Gericht in der Hauptverhandlung überzeugen. Der Zeuge ist ein menschliches Wrack. Einfache Fragen mussten mehrmals an ihn gestellt werden, damit er überhaupt deren Sinn erfassen konnte. Seine Antworten waren zerfahren und äusserst unpräzis.