Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXVI

Verfahren Nr.758 - 767 (1971 - 1972)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.758 LG Kiel 02.08.1971 JuNSV Bd.XXXVI S.5

 

Lfd.Nr.758    LG Kiel    02.08.1971    JuNSV Bd.XXXVI S.34

 

"OStA. Hanssen teilt am 30.1.1945, abends 11.00 Uhr, fernmündlich folgendes mit:

"Durch telefonische Rückfrage beim Festungskommandanten Küstrin habe ich am späten Nachmittag ermittelt, dass mit einem Panzerdurchstoss der Russen auf Sonnenburg im Laufe dieser Nacht zu rechnen ist.

Entsprechend der Anordnung des Reichsverteidigungskommissars, Gauleiter Stürtz 12, für die Anstalten meines Bezirks - eine Anordnung, die vom Reichsführer-SS. genehmigt worden ist, wie ich bereits vor einigen Tagen an Herrn Staatssekretär Klemm fernmündlich mitgeteilt habe - habe ich deshalb heute abend die Gefangenen von Sonnenburg einem Kommando der geheimen Staatspolizei übergeben lassen und zwar 600, hauptsächlich Ausländer, darunter auch verurteilte NN-Gefangene, während der Rest mit 200 soeben zu einem Treck zusammengestellt wird. Die 200 sind die brauchbaren Elemente, die der Anstaltsleiter im Benehmen mit dem Kommandoführer der Gestapo herausgesucht hat.

56 weibliche polnische Gefangene, die aus dem Treck Wronke stammen, sind gleichfalls der Polizei übergeben worden.

Die Gefolgschaftsangehörigen werden mit Lkw und Gespannen abgeführt. Das Vieh ist z.T. geschlachtet, um die Lebensmittelversorgung des Trecks zu sichern. Das restliche Vieh wird bis Küstrin getrieben und dort der Wehrmacht zur Versorgung der Festung überlassen."

 

Abschrift erhalten:

Herr Minister

Herr Staatssekretär

Herr MD IV

Herr MD V

Herr Sen.Präs. Hec."

 

Diesen Vermerk hat der Zeuge Egg. mit seinem Handzeichen versehen und mit dem 31.1. datiert. Der Zeuge war damals im Reichsjustizministerium Referent vom Dienst. Als solcher erhielt er am 30.1.1945 abends 23.00 Uhr einen telefonischen Anruf des Generalstaatsanwalts Hanssen. Der Zeuge fragte mehrfach bei dem Generalstaatsanwalt während dieses Anrufes nach und spürte den wachsenden Unwillen seines Gesprächspartners. Auf seine Frage, ob der Minister davon wisse, wies Hanssen auf den Staatssekretär hin. Der Zeuge Egg. spürte, dass Hanssen seine Nachfragen ungehörig fand und beendete bald das Gespräch. Am nächsten Vormittag diktierte der Zeuge Egg. den vorstehend wiedergegebenen Vermerk als Ergebnis dieses Telefongesprächs. An Einzelheiten dieses Vermerkes konnte sich der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht mehr erinnern. Nachdem er sich telefonisch an jenem Morgen davon überzeugt hatte, dass der Zeuge Hec. in Berlin anwesend war, ging er zu ihm als dem zuständigen Referenten und übergab ihm den Vermerk. Hec. war nicht besonders erstaunt und antwortete dem Zeugen Egg. auf dessen Frage, ob der Staatssekretär da mitmache, dass Hanssen den Staatssekretär überfahren habe.

 

Der von dem Zeugen Egg. niedergelegte Vermerk zeigt die damalige Zuständigkeiten fast ganz zutreffend auf.

 

12 Stellenweise in der Urteilsausfertigung sowie in einigen dort zitierten Dokumenten 'Stürz' geschrieben.