Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXIV

Verfahren Nr.732 - 746 (1970 - 1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.735a LG München I 18.06.1970 JuNSV Bd.XXXIV S.331

 

Lfd.Nr.735a    LG München I    18.06.1970    JuNSV Bd.XXXIV S.333

 

Waren all diese Massnahmen zunächst lediglich aus dem Grunde durchgeführt worden, um die Entrechtung und Vertreibung der Juden aus Deutschland zu erreichen, so begann sich bereits nach der "Reichskristallnacht" der letzte Sinn der Judenpolitik bis zur "Endlösung" abzuzeichnen. So war z.B. in einem Artikel des "Schwarzen Korps" (Zeitung der SS) vom 24.11.1938 sinngemäss u.a. zum Ausdruck gebracht, im Stadium einer solchen Entwicklung ständen wir daher vor der akuten Notwendigkeit, die jüdische Unterwelt genau so auszurotten, wie wir in unserem Ordnungsstaat Verbrecher eben auszurotten pflegen: mit Feuer und Schwert. Göring äusserte am 12.11.1938 anlässlich einer Besprechung im Luftfahrtministerium: "Wenn das Deutsche Reich in irgendeiner absehbaren Zeit in ausserpolitischen Konflikt kommt, so ist es selbstverständlich, dass auch wir in Deutschland in allererster Linie daran denken werden, eine grosse Abrechnung an den Juden zu vollziehen". Die gleichen Gedanken äusserte Hitler in einer Rede, die er am 30.1.1939 zum sechsten Jahrestag der Machtübernahme vor dem Reichstag hielt. Er sagte u.a.: "Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum innerhalb und ausserhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa."

 

Die Anfangserfolge des Deutschen Reiches im Kriege, die zur Unterwerfung eines grossen Teiles Europas führten, gaben Hitler und seiner gleichgesinnten Umgebung, im besonderen Himmler und Heydrich die Gelegenheit, ihre Gedanken und Pläne zur radikalen Vernichtung der Juden innerhalb ihres Machtbereichs in die Tat umzusetzen. Im Zuge der Vorbereitung des Russlandfeldzuges erteilte Hitler spätestens im März 1941 dem "Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei" Himmler den mündlichen Befehl, die für die Vernichtung der Juden notwendigen organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen und zunächst die zahlenmässig starken jüdischen Volksteile Osteuropas zu töten.

 

Als Urheber der in der Folgezeit einsetzenden massenweisen Tötung zunächst der osteuropäischen, dann sehr bald auch der deutschen Juden kommt auf Grund des oben Gesagten (Vernichtungsbefehl) in erster Linie Adolf Hitler in Betracht. Miturheber waren - das steht nach dem bisherigen Ergebnis der zeitgeschichtlichen Forschung bereits als historische Tatsache fest - die engeren Freunde und Mitarbeiter Hitlers, die den "Führer" in seinen Vorstellungen und in seinem Wollen hinsichtlich der Vernichtung des Judentums bestärkten oder zum Teil sogar bestimmten. Diese Mitarbeiter haben den Grundsatzbefehl Hitlers ausgestaltet, seine Durchführung im einzelnen ermöglicht und in die Tat umgesetzt. Göring, Himmler, Heydrich und Goebbels waren es vor allem, die sich den im Rahmen der Judenfrage entwickelten Ideen Hitlers überzeugt und begeistert angeschlossen haben.

 

Zur Durchführung der Massnahmen gegen die Juden bedienten sich die Machthaber des Dritten Reiches hauptsächlich der SS und der mit ihr verflochtenen Polizei. SS und Polizei standen unter dem Oberbefehl des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern, Heinrich Himmler.

 

Der Einmarsch der deutschen Truppen nach Polen fand am 1.9.1939 statt. Mit der Schaffung des "Generalgouvernements" am 26.10.1939 endete die Militärverwaltung des besetzten Gebietes. An die Spitze der Zivilverwaltung trat ein "Generalgouverneur" (Dr. Frank), Befehlshaber der in Polen eingesetzten Polizeieinheiten wurde der sog. "Höhere SS- und Polizeiführer (HSSPF) Ost" mit dem Dienstsitz in Krakau.

 

Nach der Besetzung des polnischen Raumes begannen auch hier die Massnahmen zur Entrechtung und Diffamierung der dort lebenden Juden. Zwar stellten die ersten Anordnungen lediglich eine Angleichung an die bereits in Deutschland erlassenen Bestimmungen dar. Schon bald wurde aber erkennbar, dass diese Bestimmungen Vorbereitungsmassnahmen für die bevorstehende Judenvernichtung war. Wie im Reich, so begann sich auch in Polen bereits