Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXIV

Verfahren Nr.732 - 746 (1970 - 1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.735a LG München I 18.06.1970 JuNSV Bd.XXXIV S.331

 

Lfd.Nr.735a    LG München I    18.06.1970    JuNSV Bd.XXXIV S.332

 

Lager für russische Kriegsgefangene Rymanow in Distrikt Krakau und im Sommer desselben Jahres als Lagerführer in das für Juden und Polen errichtete Zwangsarbeitslager Szebnie. Nach der Auflösung des Lagers Szebnie Anfang 1944 kam Unt. zur Stabskompanie nach Krakau zurück. Im Sommer 1944 wurde er zum SS-Sanitätshauptamt nach Stettin und dann zum Röntgensturmbann Posen versetzt, wo er die Waffenkammer dieser Einheit betreute. Nach der Auflösung des Röntgensturmbannes im Herbst 1944 meldete er sich zur SS-Kavalleriedivision "Florian Geier" und wurde kurze Zeit später zur SS-Feldgendarmerie nach Buchenwald versetzt. Im Frühjahr 1945 kam er im Gebiet von Frankfurt an der Oder zum Einsatz. Nach dem Rückzug über Sachsen und Thüringen gelangte er nach Ansbach, wo er im Mai 1945 in amerikanische Gefangenschaft geriet. Nach seiner Entlassung im Herbst 1945 begab er sich in die französische Besatzungszone und arbeitete in einem Konstanzer Hotel. 1950 hielt er sich wegen Lymphdrüsentuberkulose zur Kur bei Donaueschingen auf.

 

Am 28.4.1950 wurde der Angeklagte wegen seiner Tätigkeit im Konzentrationslager Dachau in Untersuchungshaft genommen und mit Urteil des Schwurgerichts beim Landgericht München II vom 10.3.1952 (Aktenzeichen: Gen Ks 9, 10/51) wegen eines Verbrechens der Beihilfe zur Aussageerpressung in Tateinheit mit einem Vergehen der Körperverletzung im Amt und einem Vergehen der gefährlichen Körperverletzung, ferner wegen sechs Vergehen der Körperverletzung im Amt je in Tateinheit mit einem Vergehen der gefährlichen Körperverletzung zu einer Gesamtstrafe von 6 Jahren Zuchthaus verurteilt. Ein Jahr der erlittenen Untersuchungshaft wurde auf die Strafe angerechnet. Die bürgerlichen Ehrenrechte wurden auf die Dauer von 5 Jahren aberkannt. Am 13.3.1956 wurde Unt. nach Verbüssung einer Teilstrafe entlassen. Die Reststrafe wurde am 4.4.1961 erlassen.

In allen diesen Fällen, die den Gegenstand obiger Verurteilung bilden, hatte Unt. allein oder zusammen mit anderen SS-Leuten grundlos oder aus nichtigem Anlass im KZ Dachau Häftlinge brutal zusammengeschlagen.

 

In einem weiteren Verfahren der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht München I (Aktenzeichen: 116 Js 1/63) wurden gegen den Angeklagten wegen seines Verhaltens im Lager Szebnie Ermittlungen angestellt. Dieses Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die im vorliegenden Verfahren zu erwartende Strafe gem. §154 StPO vorläufig eingestellt. Unt. befand sich in dem Verfahren 116 Js 1/63 vom 28.12.1964 bis 20.6.1966 in Untersuchungshaft.

 

Der Angeklagte ist seit 1928 in kinderloser Ehe verheiratet. Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft am 13.3.1956 (siehe oben) arbeitete er bis zu seiner erneuten Verhaftung im Dezember 1964 als Hilfsarbeiter bei einer Baufirma in München. Seit seiner Entlassung am 20.6.1966 ist er Rentner.

 

II. « Die Judenverfolgung im Dritten Reich »

 

Schon vor der Machtübernahme Hitlers in Deutschland (30.1.1933) war die negative Einstellung des Nationalsozialismus zum Judentum deutlich zum Ausdruck gekommen. Das Programm der NSDAP verkündete, dass Staatsbürger nur Menschen deutschen Blutes sein könnten. Nach dem 30.1.1933 wurden die Juden in Deutschland immer einschneidenderen Einschränkungen unterworfen.

 

Unter den zahlreichen antijüdischen Gesetzen und Verordnungen erlangten insbesondere das "Reichsbürgergesetz" und das "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre", die beide am 15.9.1935 auf dem Reichsparteitag in Nürnberg von dem dort versammelten Reichstag durch Akklamation beschlossen wurden (sog. Nürnberger Gesetze), besondere Bedeutung. Nach der Verdrängung der Juden in Deutschland aus den öffentlichen Ämtern und den freien Berufen folgte nach der "Reichskristallnacht" vom 9.11.1938 eine schrittweise Einschränkung ihrer Freizügigkeit.