Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam
Lfd.Nr.579a LG Aurich 26.06.1964 JuNSV Bd.XX S.326
als Offiziersdienstgrade nur Dr. Scheu und der Kriegszahnarzt Br. am Erschiessungsplatz anwesend. Dr. Scheu und Br. waren aber dem Zeugen persönlich bekannt; ausserdem trug Dr. Scheu keine graue, sondern eine schwarze Uniform. Schliesslich hat der Zeuge Pr. glaubhaft bekundet, derselbe Führer, der ihn aufgefordert habe, "sich zu verpissen", habe am Erschiessungsplatz bekanntgegeben, die Juden sollten auf Befehl des Führers erschossen werden. Diese Aussage wird bekräftigt durch die Einlassung des Angeklagten Dr. Scheu, es sei an der Grube erzählt worden, die Erschiessung erfolge auf allerhöchsten Befehl; es sei möglich, dass Struve dies gesagt habe.
Nach alledem hat das Schwurgericht keinen Zweifel, dass sowohl Dr. Scheu als auch Struve schon vor dem Beginn der Exekutionen an der Erschiessungsstelle waren.
Die Feststellungen über die Vorgänge in Vainutas beruhen auf der Aussage des Zeugen Ne. Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung besteht kein Zweifel, dass zwischen den Ereignissen in Naumiestis und dem Geschehen in Vainutas ein zeitlicher und organisatorischer Zusammenhang besteht. Zwar wollen die Angeklagten davon nichts wissen. Dr. Scheu lässt sich hierzu dahin ein, er sei nie in Vainutas gewesen und habe auch kein SS-Kommando dorthin abgestellt. Er habe mit den Vorbereitungen der Aktion in Vainutas überhaupt nichts zu tun gehabt. Allerdings könne es sein, dass er auf dem Erschiessungsplatz erfahren habe, dass noch Juden aus Vainutas kämen. Soweit Dr. Scheu leugnet, selbst in Vainutas gewesen zu sein, lässt sich das Gegenteil nicht beweisen. Dr. Zeuge Ne. hat zwar zunächst bekundet, Dr. Scheu sei bestimmt bei der Synagoge in Vainutas gewesen, ist aber im weiteren Verlauf seiner Aussage unsicher geworden. Indessen haben auf jeden Fall Angehörige der Heydekruger SS mit Wissen (wahrscheinlich sogar auf Befehl) von Dr. Scheu die Juden in Vainutas erfasst und sie bis zur Ortschaft Siaudvyciai, die in unmittelbarer Nähe des Erschiessungsplatzes liegt, über die Landstrasse getrieben. Denn die Annahme, dass eine andere Einheit der allgemeinen SS in Vainutas tätig war, ist nach den Umständen ausgeschlossen, zumal weder die Angeklagten noch sonst ein Beteiligter irgendetwas bekundet hat, was auf die Mitwirkung einer anderen SS-Einheit hindeuten könnte. Ebenso abwegig erscheint auch der Gedanke, dass Angehörige der Heydekruger SS ohne Wissen ihres Führers Dr. Scheu die Juden in Vainutas festgenommen und nach Siaudvyciai verschleppt haben. Schliesslich deuten die Äusserung, welche Dr. Scheu auf dem Erschiessungsplatz zu dem Zeugen Bu. gemacht hat, und die Tatsache, dass Bu. und Pa. gleich darauf einem Trupp von Juden aus Vainutas begegnet sind, auf eine Beteiligung von Dr. Scheu an den Vorgängen in Vainutas hin.
Der Zeuge Ne. hat bekundet, dass ein schlanker SS-Mann, der mit einem "Taxi" aus Richtung Naumiestis gekommen sei, die Selektion an der Strasse bei Siaudvyciai vorgenommen habe; möglicherweise sei es Dr. Scheu gewesen, er wisse es aber nicht genau. Diese Aussage begründet einen sehr starken Verdacht, dass Dr. Scheu die Selektion auf der Strasse selbst vorgenommen hat.
Wie die Zeugen Ne. und Gl. übereinstimmend bekundet haben, wurden die zur Arbeit ausgesuchten Juden aus Naumiestis und Vainutas am Abend des Erschiessungstages auf zwei verschiedene Lastkraftwagen nach Kallewischken gebracht und dort gemeinsam in einer Scheune untergebracht. Am nächsten Morgen fanden die gefangenen Juden auf dem Hof vor der Scheune die Kleidungsstücke ihrer erschossenen Angehörigen aus Naumiestis und Vainutas. Auch diese Tatsache ist ein Beweis für den zeitlichen und organisatorischen Zusammenhang zwischen den in beiden Orten durchgeführten Aktionen.
Wie Dr. Scheu und Struve glaubhaft erklären, begannen die Exekutionen etwa um 12 Uhr mittags. Die Feststellungen über den Ablauf der Exekutionen beruhen im wesentlichen auf den Angaben von Dr. Scheu, Struve, Jagst, Bastian, Balt., Wilhelm Schmidt, Bu. und Pa. Wie Dr. Scheu und Bu. übereinstimmend erklären, waren unter den Opfern alle Altersstufen vertreten; insbesondere waren auch recht junge Leute dabei (Dr. Scheu: ab 15 Jahren). Zu der Frage, ob die Juden vor ihrer Erschiessung Wertsachen und Bekleidungsgegenstände abgeben mussten, gehen die Aussagen der Beteiligten auseinander. Struve will weder das Abnehmen der Wertsachen noch das Einsammeln der Jacken bemerkt haben. Dagegen gibt Dr. Scheu an, er habe das Einsammeln der