Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXIV

Verfahren Nr.732 - 746 (1970 - 1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.734a LG Braunschweig 12.06.1970 JuNSV Bd.XXXIV S.297

 

Lfd.Nr.734a    LG Braunschweig    12.06.1970    JuNSV Bd.XXXIV S.325

 

einem anderen niedrigen Beweggrund im Sinne von §211 StGB, sondern aus falsch verstandener Gehorsamspflicht. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass ein anderes Merkmal des §211 StGB bei der Einleitung oder der Vollziehung der Tötung verwirklicht worden ist. Die Tötungen waren rechtswidrig, da kein Rechtfertigungsgrund vorliegt (vgl. oben A 4) und auch schuldhaft, da der Angeklagte vorsätzlich Beihilfe leistete und kein Schuldausschliessungsgrund vorliegt (vgl. oben A 5). Zwar handelt es sich auch hier um Befehle in Dienstsachen im Sinne von §47 MilStGB, jedoch hätte der Angeklagte deren Unverbindlichkeit erkennen und dementsprechend sich verhalten können.

 

Bei den Haupttaten handelt es sich um Mord im Sinne von §211 StGB, da die Täter aus einem niedrigen Beweggrund handelten. Der Angeklagte hat zu diesen Taten des Mordes Beihilfe geleistet, da er den niedrigen Beweggrund der Täter kannte und die Tötungen in Kenntnis dieses niedrigen Beweggrundes durchführen liess. In diesen Fällen der Beihilfe war es nicht erforderlich, dass er selbst den niedrigen Beweggrund teilte oder aus anderen Beweggründen dieser Art Beihilfe leistete. Er ist nicht etwa der Beihilfe zum Totschlag schuldig, denn Mord und Totschlag sind selbständige, voneinander unabhängige Tatbestände mit verschiedenem Unrechtsgehalt (vgl. BGHSt. 1, 368; 6, 329). Die Taten der Beihilfe zum Mord stehen untereinander und zu den Taten des Totschlags im Verhältnis der Tatmehrheit (§74 StGB), da der Angeklagte jeweils aufgrund eines neuen Entschlusses handelte.

 

V. « Verfahrenshindernisse »

 

Der Angeklagte ist des Totschlags in neun Fällen und der Beihilfe zum Mord in drei Fällen schuldig. Eine Bestrafung kann jedoch nicht mehr erfolgen, da Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist (§67 StGB). Die erste richterliche Handlung, die wegen dieser Taten gegen den Angeklagten gerichtet war, bestand im Erlass des Haftbefehls vom 13.3.1967. Zu dieser Zeit war die Verjährung der Strafverfolgung sowohl wegen Totschlags als auch wegen Beihilfe zum Mord der hier vorliegenden Art bereits eingetreten.

 

1) Totschlag wird nach §212 Abs.1 StGB mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, nach §212 Abs.2 StGB in besonders schweren Fällen mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht. Für die Berechnung der Verjährungsfrist gilt die abstrakte Betrachtungsweise. Massgebend ist also die Regelstrafandrohung (vgl. Dreher StGB 31.Aufl. §67 Anm.2), so dass die Strafandrohung von §212 Abs.2 StGB ausser Betracht zu bleiben hat. Das Höchstmass der Freiheitsstrafe für Totschlag beträgt nach den §§212 Abs.1, 18 Abs.2 StGB: 15 Jahre. Nach §67 Abs.1 StGB a.F. betrug die Verjährungsfrist für ein mit dieser Höchststrafe bedrohtes Verbrechen 15 Jahre. Die Verjährungsfrist begann frühestens am 9.5.1945 zu laufen (Art.1 §§1, 3, 4 der Verordnung zur Beseitigung nationalsozialistischer Eingriffe in die Strafrechtspflege vom 23.5.1947, VOBl.BZ S.65). Sie lief darüber hinaus auch nicht während der Zeit, in der die deutschen Gerichte durch die Militärregierung geschlossen waren (vgl. BGHSt. 2, 54). Die deutschen Gerichte waren jedoch spätestens ab Anfang 1946 wieder tätig, so dass jedenfalls von diesem Zeitpunkt ab die 15-jährige Verjährungsfrist lief und am 13.3.1967 bereits abgelaufen war. Die 20-jährige Verjährungsfrist nach §67 Abs.1 Ziff.2 StGB n.F. kann schon deshalb nicht angewendet werden, da im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Vorschrift die Verjährung bereits eingetreten war (Art.3 des 9.StÄG vom 4.8.1969, BGBl. I 1065). Dem steht auch nicht das Gesetz über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 13.4.1965 (BGBl. I, 315) entgegen, da sich dieses Gesetz allein auf Taten bezieht, die mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe bedroht sind (§1 Abs.1) und nicht für Taten gilt, deren Verfolgung beim Inkrafttreten des Gesetzes bereits verjährt sind (§1 Abs.2).

 

2) Die hier vorliegende Art der Beihilfe zum Mord ist nach der neuen Fassung des §50 Abs.2 StGB, die am 1.10.1968 in Kraft getreten und nach §2 Abs.2 Satz 2 StGB zugunsten des Angeklagten anzuwenden ist, in Verbindung mit den §§211 Abs.1, 44 Abs.2 und 18 Abs.2 StGB nur noch mit Freiheitsstrafe von 3 bis 15 Jahren bedroht. Ihre Verfolgung