Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam
Lfd.Nr.579a LG Aurich 26.06.1964 JuNSV Bd.XX S.324
am 19.Juli 1941 stattgefunden hat. Dieses Datum hat nach Auffassung des Schwurgerichts die grösste Wahrscheinlichkeit für sich.
Über die Alarmierung der SS-Männer in Heydekrug und die Fahrt nach Naumiestis haben die Angeklagten Dr. Scheu und Jagst und die Zeugen Balt., Pr. und Wal. weitgehend übereinstimmende Angaben gemacht. Jedoch weichen ihre Aussagen über die Zahl der versammelten SS-Männer erheblich voneinander ab (Dr. Scheu: 12 bis 15, Jagst: etwa 15, Balt.: etwa 80, Pr.: vielleicht 40, Wal.: weniger als 40 Mann). Die Tatsache, dass Bastian in Kolleschen zugestiegen ist, haben dieser selbst und Jagst übereinstimmend bekundet.
Die Feststellungen über die Zustände in Naumiestis, die Einrichtung und die Tätigkeit der "vorgeschobenen Grenzaufsichtsstelle" und die Behandlung der Juden in der Zeit zwischen dem Einmarsch der deutschen Truppen und dem Erschiessungstage beruhen auf den Angaben der deutschen Zeugen Gu., Kem., N. und Og. und der jüdischen Zeugen Gl., Glu. und Jo., die insoweit durchaus miteinander übereinstimmen.
Die Feststellung, dass die männlichen Juden aus Naumiestis im Alter von etwa 14 Jahren an schon vor dem Eintreffen der SS bei der Synagoge versammelt worden waren, beruht auf den Aussagen der jüdischen Zeugen Gl., Glu. und Jo.
Während die Angeklagten Dr. Scheu, Jagst und Bastian und die an der SS-Aktion beteiligten Zeugen Balt., Pr. und Wal. sich nicht daran erinnern wollen, die Juden bereits bei der Synagoge gesehen zu haben, bekunden die jüdischen Zeugen glaubhaft, dass die SS sie bereits an der Synagoge übernommen und sodann zu der früheren russischen Kaserne geführt habe.
Dagegen weichen ihre Angaben über die Zahl der gefangenen Juden erheblich voneinander ab. Während der Zeuge Jo., der allerdings schon an der Synagoge alsbald wieder fortgeschickt wurde, die Zahl der versammelten Juden mit 100 bis 120 angibt, schätzt Glu. diese Zahl auf 150 bis 200 und Gl. auf 200 bis 400 Mann. Das Schwurgericht hat hieraus gefolgert, dass mehrere hundert Juden von der Synagoge zur Kaserne geführt wurden.
Ob der Angeklagte Struve schon bei den Vorgängen in Naumiestis anwesend war, hat das Schwurgericht nicht feststellen können, da die Einlassungen der Angeklagten Dr. Scheu und Struve sich insoweit widersprechen. Während Dr. Scheu angibt, dass er Struve schon in Kolleschen begegnet sei, will Struve ihn und seine SS-Männer erst auf dem Erschiessungsplatz getroffen haben. Die übrigen Mitangeklagten und die Zeugen bekunden, sie könnten sich nicht erinnern, Struve schon in Naumiestis gesehen zu haben.
Bei den Vorgängen an der Kaserne in Naumiestis war Struve offensichtlich nicht anwesend. Zwar behauptet Dr. Scheu, Struve sei mit ihm zur Kaserne gefahren. Da aber alle anderen Beteiligten bekunden, dass sie Struve dort nicht gesehen hätten, hält das Schwurgericht die Einlassung von Dr. Scheu für unrichtig. Dr. Scheu war daher der höchste auf dem Kasernenhof anwesende SS-Führer.
Die Angeklagten Dr. Scheu und Jagst leugnen, sich an der Einteilung der Juden in Arbeitsfähige und Arbeitsunfähige beteiligt zu haben. Sie behaupten, bei ihrer Ankunft auf dem Kasernenhof seien die Juden schon von unbekannten Tätern in zwei Gruppen eingeteilt gewesen. Demgegenüber bekunden die jüdischen Zeugen Glu. und Gl. mit Bestimmtheit, dass die Einteilung an der Kaserne von SS-Leuten in schwarzer Uniform vorgenommen worden sei. Der Zeuge Glu. nennt in diesem Zusammenhang Dr. Scheu, Jagst und Al., der Zeuge Gl. bekundet ebenfalls, dass Dr. Scheu die Auswahl vorgenommen habe. Gegen die Einlassung der Angeklagten spricht ferner die Aussage des Zeugen Wal., der bekundet hat, dass die Juden noch nicht in zwei Gruppen eingeteilt gewesen seien, als er auf dem Kasernenhof angekommen sei. Nach alledem hat das Schwurgericht keinen Zweifel, dass Angehörige der Heydekruger SS die Juden auf dem Kasernenhof in Arbeitsfähige und Arbeitsunfähige eingeteilt haben.
Nach den Umständen spricht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte Dr. Scheu als höchster auf dem Kasernenhof anwesender SS-Führer die Auswahl der Juden selbst vorgenommen hat. Diese Wahrscheinlichkeit wird noch verstärkt durch