Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLIX

Verfahren Nr.920 - 924 (2002 - 2012), 880 (Erratum), 950 - 959 (1945 - 1960; Nachtragsverfahren)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.924 LG München II 12.05.2011 JuNSV Bd.XLIX S.227

 

Lfd.Nr.924    LG München II    12.05.2011    JuNSV Bd.XLIX S.323

 

K.G.L. der Waffen-SS Lublin" in derselben Handschrift verfasst wie das vorgenannten Schreiben und mit demselben Unterschriftenzug eines "SS-Oberscharführers" versehen wie jenes. Der Text dieses Schreibens, das ebenfalls an die Kommandantur des K.G.L. der Waffen-SS Lublin gerichtet ist, lautet wie folgt:

"Die obgenannten Wachmänner haben trotz bekanntgegebener Lagersperre auf unerlaubter Weise die Unterkunft sowie den Lagerbereich verlassen und gingen nach ihren Aussagen in das Dorf Dziesiata um Lebensmittel einzukaufen. Nebenbei haben die beiden K. u. L. zurselben Zeit ihrem Arbeitsplatz (Kdo. Kartoffelmieten verlassen). Um Kenntnisnahme wird gebeten."

Auch auf diesem Schreiben befindet sich links unten in anderer Handschrift der Vermerk "25 Stockhiebe!" sowie das Datum "20.1.43" und das optisch annähernd gleiche Unterschriftenkürzel wie im anderen Dokument, ferner darunter ebenfalls der Vermerk "25 Stockhiebe am 21.1.43 vollzogen" sowie ein Unterschriftenzug, der jenem des Ausgangsschreiben ähnelt und sich in diesem Schreiben als der Name "Erlinger" erschliessen lässt.

 

Neben der offensichtlich gleichen Handschrift in beiden Schreiben lassen auch die Wortwahl und die Schreibfehler bei den Worten "Komandantur" und "verlassen" darauf schliessen, dass die beiden Schreiben vom selben Autor stammen; die weiteren Notizen und Stempelaufdrucke sprechen dafür, dass beide Schreiben auch zwischen den Dienststellen den selben Verwaltungsweg genommen haben.

 

Gerade die Tatsache, dass das zweite Schreiben nicht in direktem Zusammenhang zum Angeklagten steht, aufgrund der Gleichartigkeit aber die Authentizität beider Schreiben naheliegt, spricht wiederum gegen eine Fälschung speziell zum Nachteil des Angeklagten.

 

Auffällig ist lediglich, dass das Schreiben vom 20.Januar 1943 auf eine Abordnung des Angeklagten in das Konzentrationslager Lublin-Majdanek hindeutet, die in seinem Dienstausweis nicht eingetragen ist. Dort findet sich unter der Rubrik "Abkommandiert am _____ zu ______" als erste Eintragung "am 22.9.42 zu L.G. Okzow". Hierbei handelt es sich um ein SS-eigenes Landwirtschaftsgut im Aussenbereich der polnischen Stadt Chelm. Dieses liegt rund 70 km von Lublin entfernt, wobei sich Trawniki an der direkten Verbindung beider Orte etwa in der Mitte befindet. Es drängt sich daher auf, dass der Angeklagte kurzfristig über Trawniki nach Lublin versetzt wurde, ohne dass es zu dem zugehörigen Eintrag im Dienstausweis kam.

 

Für die Möglichkeit, dass die kurzfristige Versetzung lediglich im Personalbogen erfasst wurde, spricht auch ein Eintrag in dem Personalbogen Nummer 1687 des Iwan Chapajew; in der Rubrik "Versetzungen" findet sich dort ebenfalls unter dem Datum "22.9.42" eine Abordnung an das "L.G. Okzow", wobei in diesem Personalbogen die Rückversetzung Chapajews am 14.Oktober 1942 an das Ausbildungslager Trawniki vermerkt ist. Hieraus lässt sich ableiten, dass hinsichtlich des Dienstes in Okzow auch eine nur wenige Wochen dauernde Abordnung möglich war. Dass die Mitteilung vom 20.Januar 1943 tatsächlich im Zusammenhang mit dem Konzentrationslager Lublin-Majdanek steht, wird bestätigt durch das zweite Schreiben vom selben Tag, in dem der Ort "Dziesiata" erwähnt ist, welcher sich ebenfalls im Stadtrandbereich von Lublin befindet.

 

Die beiden Meldungen vom 20.Januar 1943 stehen in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem oben zitierten Schreiben vom 24.Januar 1943 über eine Meldung des "SS-Oberscharführers Erlinger" vom 22.Januar 1943 über die Unzuverlässigkeit der Trawniki-Männer 159. Der Name des zusammen mit "Deminjuk Erk. 1393" erwähnten "Tuktarow Erk.

 

159 Siehe oben C III 2 g Seite 283 f.