Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXIV

Verfahren Nr.732 - 746 (1970 - 1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.734a LG Braunschweig 12.06.1970 JuNSV Bd.XXXIV S.297

 

Lfd.Nr.734a    LG Braunschweig    12.06.1970    JuNSV Bd.XXXIV S.322

 

Grundgedanken der Gerechtigkeit, der Menschlichkeit und der Gleichheit verstiess und damit selbst rechtswidrig war (vgl. BGHSt. 2, 234; 2, 333 = NJW 1952, 795; 3, 357 = NJW 1953, 351; BGH NJW 1961, 276). Sie war auch durch keinerlei militärische Erwägungen gerechtfertigt. Weder die reibungslose Fortführung der Rüstungsarbeiten in den Lagern, noch die angestrebte Geheimhaltung des unterirdischen Bauvorhabens oder die blosse Möglichkeit, dass sich geflohene Häftlinge Banden anschliessen könnten, erforderten eine Tötung der wiederergriffenen Häftlinge ohne Urteil, auch nicht zur Abschreckung der anderen. Die Belange der kämpfenden Truppe machten eine derartige Tötung nicht erforderlich (vgl. BGH bei LM Nr.3 zu §47 MilStGB). Es war auch kein Akt der Bekämpfung des Feindes im Kriege, da die Häftlinge als Zivilpersonen nicht als "Feinde" im völkerrechtlichen Sinne anzusehen waren. Um eine Kriegsrepressalie handelte es sich schon deswegen nicht, weil die Tötungen vor der Öffentlichkeit geheimgehalten wurden. Rechtfertigung findet die Anordnung auch nicht in einem Staats- oder Kriegsnotstand, denn die Häftlinge bildeten keine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben der Bevölkerung (vgl. BGHSt. 23, 103 = NJW 1969, 2105; BGH 4 StR 438/58, Urteil vom 13.3.1959 125).

 

Der Angeklagte selbst befand sich auch nicht in einer Notwehrsituation, da kein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff durch die Häftlinge vorlag. Für ihn bestand auch kein übergesetzlicher Notstand, da keine gegenwärtige, nicht anders als durch die Exekutionen abwendbare Gefahr für ihn oder einen anderen bestand. Ein rechtskräftiges Todesurteil lag gegen die Häftlinge nicht vor.

 

Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte auch nicht etwa einen der erwähnten Ausnahmefälle irrtümlich für vorliegend erachtet.

 

5) Der Angeklagte wusste, dass die Anordnung und die darauf beruhenden Exekutionsbefehle sowie die deswegen vollzogenen Exekutionen rechtswidrig waren. Er kannte die rassenfeindliche Einstellung seiner Vorgesetzten und wusste, dass sie vor allem aus dieser Einstellung heraus die Anordnung vom 11.9.1944 getroffen hatten. Er wusste auch, dass die vorsätzliche Tötung eines Menschen ohne Gerichtsurteil ein schweres Verbrechen ist und war und handelte daher insoweit nicht etwa in einem Verbotsirrtum (vgl. BGHSt. 23, 39 = NJW 1969, 1725). Obwohl er alle diese Umstände kannte, hat er dennoch die einzelnen Exekutionsbefehle erlassen und damit bewusst die Begehung eines allgemeinen Verbrechens befohlen (vgl. BGHSt. 15, 214 = NJW 1961, 373).

 

Ein Entschuldigungsgrund liegt nicht vor. Der Angeklagte kann sich weder auf einen Nötigungsstand (§52 StGB) noch auf einen Notstand (§54 StGB) zu Recht berufen. Es bestand für ihn keinerlei wirkliche oder vermeintliche gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen, aus der er keinen anderen Ausweg als durch die Exekutionsbefehle fand oder durch die ihm die Befehle abgenötigt wurden. Er hat es überhaupt unterlassen, sich nach allen Kräften gewissenhaft zu bemühen, eine wirkliche oder vermeintliche Gefahr auf eine die Straftat vermeidende Weise abzuwenden (vgl. BGH 5 StR 308/69, Urteil vom 7.4.1970 126) und sich darüber zu der damaligen Zeit noch nicht einmal Gedanken gemacht.

 

Auch §47 MilStGB befreit den Angeklagten nicht von seiner Verantwortlichkeit. Infolge der Unterstellung der SS-Angehörigen unter eine Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen gemäss der Verordnung vom 17.10.1939 (RGBl. I, 2107) ist §47 MilStGB hier anwendbar (vgl. BGHSt. 5, 239 = NJW 1954, 401). Die Entscheidung BGHSt. 19, 33 = NJW 1964, 57 steht dem

 

125 Siehe Lfd.Nr.486b.

126 Siehe Lfd.Nr.670b.