Justiz und NS-Verbrechen Bd.XX

Verfahren Nr.569 - 589 (1964 - 1965)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.579a LG Aurich 26.06.1964 JuNSV Bd.XX S.281

 

Lfd.Nr.579a    LG Aurich    26.06.1964    JuNSV Bd.XX S.322

 

Stalag Heydekrug-Matzicken beschäftigt gewesen sein soll, an der Aktion teil. Ein ranghöherer Gestapobeamter, etwa ein Regierungsrat oder ein Kriminalkommissar, war nicht am Erschiessungsplatz. Auch ein SD-Führer war dort nicht anwesend.

 

Die Erschiessungen wurden von den SS-Männern und von litauischen Zivilisten (Freischärlern oder Hilfspolizisten) mit Pistolen und russischen Karabinern ausgeführt. Als Schützen betätigten sich u.a. der SS-Unterscharführer Kaulitzki, der namentlich nicht bekannte SS-Rottenführer mit dem EK I aus dem ersten Weltkriege, der Angeklagte Bastian, der Zeuge Wilhelm Schmidt und wahrscheinlich auch die Zeugen Br. und Wal. Das Schwurgericht hat nicht feststellen können, dass die Angeklagten Dr. Scheu und Struve den ihnen unterstellten SS-Männern befohlen haben, auf die Juden zu schiessen. Jedenfalls haben Dr. Scheu und Struve aber die Mitwirkung ihrer Männer an den Exekutionen geduldet und gebilligt.

Dr. Scheu und Struve schossen auch eigenhändig auf die Opfer:

 

Als mehrere Juden aus der Grube um Hilfe schrien, weil sie zwar angeschossen, aber noch nicht tot waren, forderte Struve den Angeklagten Dr. Scheu auf, ein Ende zu machen. Dr. Scheu tötete daraufhin in der Folgezeit insgesamt vier in der Grube liegende Juden, die bereits getroffen, aber noch nicht tot waren, durch Schüsse aus einer Pistole.

Ausserdem tötete Dr. Scheu mindestens vier am Grubenrand kniende Juden, welche noch unverletzt waren, durch Pistolenschüsse in das Genick, obwohl niemand (auch nicht der Angeklagte Struve) ihn hierzu aufgefordert hatte.

Der Angeklagte Struve erschoss mindestens einen am Grubenrand knienden (noch unverletzten) Juden auf die gleiche Weise.

Am Nachmittag erschienen der kommissarische Landrat Schm. und sein Kraftfahrer, der Zeuge G., auf dem Erschiessungsplatz. Beide kamen in Zivil. Der Landrat Schm. liess sich von Dr. Scheu den Ablauf der Aktion erklären und sah etwa eine Stunde lang den Erschiessungen zu.

 

Während der Anwesenheit der Zeugen Schm. und G. waren auch die Zeugen Bu. in (schwarzer oder grauer) SS-Uniform und der Zeuge Pa. in Zivil kurze Zeit auf dem Erschiessungsplatz. Der kommissarische Landrat Schm. hatte am Vormittag den Zeugen Pa. angewiesen, nach Naumiestis zu fahren und sich Arbeitskräfte für den Strassenbau auszusuchen. Zugleich hatte er den Zeugen Bu. beauftragt, Pa. auf der Fahrt als "Uniformträger" zu begleiten.

Die beiden Zeugen fuhren deshalb am frühen Nachmittag in dem beamteneigenen Kraftwagen des Zeugen Pa. nach Naumiestis. Als sie gegen 16 Uhr bei der Kaserne eintrafen, stiessen sie auf den Angeklagten Jagst, der damit beschäftigt war, die zur Erschiessung bestimmten Juden zu verladen. Jagst erklärte dem Zeugen Bu., dass die arbeitsfähigen Juden nach Heydekrug kämen, während die arbeitsunfähigen Juden erschossen würden. Dann fuhr der Angeklagte Jagst - entweder aus Neugier oder in der Absicht, Dr. Scheu die Ankunft der beiden Zeugen zu melden - mit einem Judentransport zum Erschiessungsplatz mit. Das Kommando über die Verladung der Juden übergab er solange einem seiner SS-Leute. Bu. und Pa. warteten bei der Kaserne auf seine Rückkehr und sahen sich inzwischen das dort herumliegende Kriegsmaterial an. Nach kurzer Zeit kehrte Jagst wieder zur Kaserne zurück. Er sagte zu den beiden Zeugen, dass sie ebenfalls zum Erschiessungsplatz fahren sollten. Bu. und Pa. fuhren daraufhin mit ihrem Kraftwagen auf dem ihnen von Jagst beschriebenen Wege zur Erschiessungsstelle. Als sie dort eintrafen, gingen die Erschiessungen bereits dem Ende zu. Der Zeuge Bu. ging auf Dr. Scheu zu. Dieser fragte ihn scherzhaft, ob er mitschiessen wolle. Als Bu. ablehnte, sagte Dr. Scheu, dazu habe er ihn auch nicht herbestellt; er solle vielmehr in Richtung Vainutas fahren, da von dort noch ein Judentransport erwartet würde. Dr. Scheu sagte hierbei sinngemäss: "Wir sind hier schon bald fertig, die Juden aus Vainutas hätten schon längst hier sein müssen."

Während dieses Gespräches kam ein Lastwagen mit Juden an. Der Zeuge Wilhelm Schmidt besorgte das Ausladen und nahm ihnen die Wertsachen und die Schuhe ab. Dann wurden die Juden an die Grube geführt und durch Genickschüsse getötet.

Unter den Schützen befanden sich Dr. Scheu, Struve, Bastian, Kaulitzki und der Rottenführer mit dem EK I. Jeder der Schützen tötete mindestens einen Juden durch Pistolenschüsse