Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLIX

Verfahren Nr.920 - 924 (2002 - 2012), 880 (Erratum), 950 - 959 (1945 - 1960; Nachtragsverfahren)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.924 LG München II 12.05.2011 JuNSV Bd.XLIX S.227

 

Lfd.Nr.924    LG München II    12.05.2011    JuNSV Bd.XLIX S.318

 

Über dem linken unteren Teil des Lichtbildes und von dort aus weiter auf dem Dokument im Bereich des aufgedruckten Begriffes "Familienname" verlaufend befindet sich ein runder Stempelabdruck mit einem Durchmesser von etwa 3,5 cm, der von einer kreisrunden Linie begrenzt ist und innerhalb dieses Kreises oben den Begriff "SS Standortverwaltung [Rest unleserlich]" und unten den Begriff "Zweigstelle Trawniki" sowie einen Hakenkreuzabdruck enthält. Auch die das Hakenkreuz umgebende Kreislinie läuft sowohl über das Foto wie auch den Urkundenkörper.

 

Im rechten oberen Bereich des Lichtbildes befindet sich ein weiterer runder Stempelabdruck mit annähernd derselben Grösse, der sich nach rechts auf das Dokument im Bereich der aufgedruckten Begriffe "Grösse:", "Gesichtsform:", "Haarfarbe:" und "Augenfarbe:" erstreckt. Auch dieser Stempelabdruck ist durch eine kreisrunde Linie begrenzt und weist innerhalb der Linie am oberen Bereich den Begriff "Standortverwaltung [Rest unleserlich]" und direkt darunter den Begriff "Waffen-SS" sowie im unteren Kreisbereich den Begriff "Zweigstelle Trawniki" auf.

 

Während der zuletzt genannte Stempel am Übergang zwischen Foto und Dokument keine Linienverschiebung zeigt, weist der untere Stempelabdruck an den Übergängen zwischen Foto und Dokumentenunterlage eine geringfügige Verschiebung der Stempelinhalte auf, die den Anschein erwecken, als sei die Position des Fotos nach dem Anbringen des Stempels geringfügig verändert worden.

 

Dieser Aspekt wurde vom Sachverständigen Larry F. Stw. untersucht. Der Sachverständige erläuterte, dass die Abdrücke von Gummistempeln herrühren würden, die in den dreissiger und vierziger Jahren häufig verwendet worden seien, um die Echtheit von Dokumenten, speziell bei einem aufgebrachten Foto, zu bestätigen.

 

Mit Hilfe einer Computersimulation, die der Sachverständige anhand von Farbausdrucken näher erläuterte, habe er die Position des Fotos auf dem Ausweisdokument verändert und dabei festgestellt, dass eine geringfügige Rechtsdrehung des Fotos um etwa ein Grad dazu führe, dass der untere Siegelabdruck eine vollständige Kreisform ohne die Andeutung einer ellipsenförmigen Ausbuchtung aufweise und zudem die an der Übergangskante zwischen Foto und Dokument liegenden Buchstaben und die Kreislinie um den Hakenkreuzabdruck keine Verschiebungen mehr aufwiesen.

 

Dies spreche dafür, dass das Foto zum Zeitpunkt der Stempelung auf dem Dokument angebracht gewesen sei. Da sich auch der Rest des Stempels bei der Simulation vollständig mit einer Kreisform decke, bestehe kein Anhaltspunkt dafür, dass - gleichsam zufällig - die Teile zweier verschiedener Stempelaufdrucke zueinander passen würden. Die Anbringung des Stempels als Sicherheitsmerkmal sei bei jedem einzelnen Ausweis von der jeweiligen Handbewegung der Person, die den Stempel aufbringe, und der Lage des Ausweises abhängig, wobei bei keinem der Ausweisdokumente, die er untersucht habe, die Position des Stempels gleich gewesen sei.

 

Die Ausführungen des Sachverständigen Stw. konnten ohne weiteres nachvollzogen werden und decken sich auch mit dem optischen Eindruck der Kammer von dem in Augenschein genommenen Dokument. Es liegt nahe, dass das Foto sich aus einem nicht mehr rekonstruierbaren Grund zu irgendeinem Zeitpunkt nach der Anbringung des unteren Stempels einmal abgelöst hat und es daraufhin erneut auf das Dokument aufgeklebt wurde, wobei hierbei zwar darauf geachtet wurde, annähernd dieselbe Position des Fotos wieder herzustellen. Offensichtlich zur weiteren Echtheitsbestätigung wurde dann jedoch der zweite obere Stempel angebracht; ein solcher zweiter Stempel findet sich auf den Vergleichsdokumenten meist nicht.