Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam
Lfd.Nr.579a LG Aurich 26.06.1964 JuNSV Bd.XX S.318
Hof der Synagoge und schossen dort über seinen Kopf hinweg (vgl. Abschnitt VI. 1. der Urteilsgründe). Ein ähnlicher Vorgang ereignete sich später im Lager Matzstubbern/Ullosen.
Wie der Zeuge Glu. bekundet hat, bedrohten die Wachmänner die gefangenen Juden mit einer Erschiessung; sie liessen sie eine Grube ausheben, packten einen Juden hinein und schossen über ihn hinweg.
Diese Vorkommnisse unterscheiden sich aber wesentlich von dem hier interessierenden Geschehen, weil bei ihnen die von der vermeintlichen Exekution betroffenen Juden alsbald nach dem Vorfall lebend zu ihren Kameraden zurückkehrten, während hier die Männer, die von Dr. Scheu und Jagst abgeführt wurden, von keinem der Beteiligten jemals wieder gesehen worden sind. Die Fälle lassen sich darum nicht miteinander vergleichen.
Die Annahme, dass Dr. Scheu und Jagst die drei Männer lebend in Sveksna zurückgelassen haben, ist auch schwer vereinbar mit der Tatsache, dass sich unter diesen - jedenfalls in der Vorstellung der beteiligten SS-Männer - ein Kommunist befand. Warum sollten die Angeklagten ausgerechnet einen Kommunisten freilassen?
Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch die Überlegung, dass der Zeuge Wal., der sich durch seine Schilderung des Vorfalles selbst einem erheblichen Tatverdacht ausgesetzt hat, es sicherlich in seiner Aussage erwähnt haben würde, wenn man das Leben der drei Männer geschont hätte. Er hätte diese Tatsache, die ihm ja kaum verborgen geblieben wäre, schon zu seiner eigenen Entlastung vorgebracht. Stattdessen hat er sich mit der unsicheren und wenig glaubhaft klingenden Erklärung begnügt, er habe keine Erschiessung beobachtet und keinen Toten gesehen. Schliesslich hätten auch die Angeklagten Dr. Scheu und Jagst, die ja bei dem Vorgang in Sveksna, wie oben festgestellt ist, massgeblich beteiligt waren, wohl kaum Veranlassung gehabt, den Vorfall schlechthin in Abrede zu stellen, wenn das Ganze nur ein harmloser Einschüchterungsversuch gewesen wäre.
Bei einer Gesamtwürdigung aller dieser Umstände kann die Annahme, dass Dr. Scheu und Jagst die Juden Selig Ar., Eliah Shapiro und Abraham Gershon an der Synagoge in Sveksna getötet haben, kaum noch einen vernünftigen Zweifel unterliegen.
Trotzdem hat das Schwurgericht auf Grund der vorhandenen Beweismittel nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Angeklagten Dr. Scheu und Jagst die ihnen zur Last gelegte Tat begangen haben. Das Gericht meint, die Möglichkeit nicht ausschliessen zu können, dass Dr. Scheu und Jagst die drei Männer unverletzt in Sveksna zurückgelassen haben und dass sie hierbei weder an die Möglichkeit gedacht noch diese billigend in Kauf genommen haben, dass die zurückgelassenen Juden alsbald von den Litauern liquidiert würden.
3. Schlussfolgerung
Demnach waren die Angeklagten Dr. Scheu und Jagst von dem Vorwurf, am 29.Juni 1941 in Sveksna die jüdischen Häftlinge Selig Ar., Abraham Gershon und Eliah Shapiro erschossen zu haben, mangels Beweises freizusprechen.
VIII. Die Massenerschiessung bei Siaudvyciai und die Zwangsverschleppung von Juden aus Naumiestis und Vainutas
1. Tatsächliche Feststellungen über den Ablauf der Aktion und die Mitwirkung der Angeklagten Dr. Scheu und Struve
Die Massenerschiessung in der Nähe von Naumiestis (deutscher Name: Neustadt) und die damit zusammenhängende Zwangsverschleppung von Juden aus Naumiestis und Vainutas fand am zweiten, dritten oder vierten Sonnabend nach Beginn des Russlandfeldzuges - höchstwahrscheinlich am 19.Juli 1941 - statt; sie liegt also zeitlich nach den im Abschnitt VI. geschilderten Aktionen in Sveksna, Vevirzeniai, Kvedarna und Laukova.
Am Morgen dieses Tages liess der Angeklagte Dr. Scheu die verfügbaren Angehörigen des SS-Reitersturmes 2/20 und des SS-Sturmbannes II/105 für einen Sondereinsatz