Justiz und NS-Verbrechen Bd.XX

Verfahren Nr.569 - 589 (1964 - 1965)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.579a LG Aurich 26.06.1964 JuNSV Bd.XX S.281

 

Lfd.Nr.579a    LG Aurich    26.06.1964    JuNSV Bd.XX S.310

 

abzugeben, und sammelten diese Gegenstände ein. Danach fand eine Leibesvisitation statt. Dr. Scheu und Jagst waren - zumindest zeitweise - auf dem Marktplatz anwesend.

In Laukova wurden mindestens 50 Juden (vielleicht auch mehr) festgenommen. Darunter waren der Kaufmann Julius Smolianski, der bis 1939 in Heydekrug gewohnt und dort ein Salamanderschuhgeschäft besessen hatte, und der Müller Manus Kagan, ein früherer Offizier der litauischen Armee. Manus Kagan wurde noch in Laukova von SS-Männern schwer misshandelt.

Die Zeugen Hal. (geboren am 22.Juli 1921), Arie Go. (geboren am 20.Mai 1913), David Go. (geboren am 9.Juli 1920) und Joseph Ar. (geboren am 19.September 1918) gehören ebenfalls zu den in Laukova gefangenen Juden.

Nach der Abnahme der Wertsachen wurden die Juden auf einen mitgebrachten Lastkraftwagen nebst Anhänger verladen und nach Heydekrug abtransportiert. Auf der Fahrt durch Sveksna hielt der Lastzug bei der Synagoge an. Hier wurden die Juden Selig Ar., Abraham Gershon und Eliah Shapiro vom Wagen heruntergeholt und abgeführt. Dieser Vorgang wird später besonders erörtert (Abschnitt VII. der Urteilsgründe).

Die Juden aus Laukova trafen erst nach Einbruch der Dunkelheit in Heydekrug ein. Hier wurden einige von ihnen (darunter der Zeuge Arie Go.) herausgesucht und für mehrere Tage bei Dränagearbeiten eingesetzt. Die übrigen Juden (darunter die Zeugen Hal. und Joseph Ar.) wurden noch in derselben Nacht in ein Arbeitslager bei Matzstubbern/Ullosen gebracht. Sie fuhren den grössten Teil der Strecke wieder mit einem Lastkraftwagen, mussten aber das letzte Stück zu Fuss laufen. Entweder auf diesem Wege oder unmittelbar beim Einmarsch in das Lager wurden sie von SS-Leuten misshandelt. Der Jude Jesnerowitz aus Laukova, der damals 60 bis 65 Jahre alt war, brach hierbei - vor Aufregung oder infolge der erlittenen Misshandlungen - tot zusammen, bevor er die Baracke betreten konnte. Diejenigen Juden, die in Heydekrug für Dränagearbeiten ausgesucht worden waren, kamen einige Tage später ebenfalls nach Matzstubbern/Ullosen.

 

Der Angeklagte Dr. Scheu hat bei den geschilderten Zwangsverschleppungsaktionen weder eigenhändig die Juden geschlagen, getreten oder gestossen noch die ihm unterstellten SS-Männer oder die zur Hilfe herangezogenen Litauer durch ausdrückliche Aufforderung oder stillschweigende Duldung dazu veranlasst, die Juden auf diese Weise zu misshandeln. Soweit die SS-Männer oder die Litauer die Juden geschlagen, getreten oder gestossen haben, müssen sie dies also eigenmächtig und ohne Wissen des Angeklagten Dr. Scheu getan haben.

 

2. Beweiswürdigung

 

Die Angeklagten Dr. Scheu, Struve und Jagst geben ihre Mitwirkung bei den Zwangsverschleppungsaktionen im wesentlichen zu. Sie bestreiten allerdings, dass es hierbei zu Ausschreitungen gegenüber den gefangenen Juden gekommen sei.

In der Frage, wer der Urheber dieser Aktionen war, folgt das Schwurgericht weitgehend den Angaben der Angeklagten Dr. Scheu und Struve, die insoweit übereinstimmen. Danach ist die Initiative von dem kommissarischen Landrat Schm. ausgegangen. Dieser hatte zwar in einem früheren Stadium des Verfahrens jede Mitwirkung bei der Beschaffung der Zwangsarbeiter in Abrede genommen und die Sache so dargestellt, als sei er durch die Ankunft der Juden im Kreis Heydekrug völlig überrascht worden. Der Zeuge hat indessen bei seiner Vernehmung in der erneuten Hauptverhandlung auf Vorhalt zugegeben, Dr. Scheu zur Herbeischaffung der jüdischen Arbeitskräfte aufgefordert zu haben. Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht auch die Aussage des Angeklagten Jagst, der bekundet hat, dass er den ersten Befehl zur Teilnahme an den Zwangsarbeiteraktionen von seinem dienstlichen Vorgesetzten, dem Zeugen Schm., erhalten habe.

 

Dagegen hat das Schwurgericht nicht mit Sicherheit feststellen können, ob das Gespräch zwischen dem Angeklagten Dr. Scheu und dem Zeugen Schm., bei dem dieser den Plan der Beschaffung jüdischer Arbeitskräfte entwickelte, kurz vor oder kurz nach dem Beginn des Russlandfeldzuges stattgefunden hat.