Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLIX

Verfahren Nr.920 - 924 (2002 - 2012), 880 (Erratum), 950 - 959 (1945 - 1960; Nachtragsverfahren)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.924 LG München II 12.05.2011 JuNSV Bd.XLIX S.227

 

Lfd.Nr.924    LG München II    12.05.2011    JuNSV Bd.XLIX S.308

 

genannt. Die Kartei dieser Meldekarten sei archiviert und habe ausgewertet werden können. Die Kartei des Judenrates sei während der Besatzung zusammengestellt worden und enthalte die Daten von nahezu allen Juden, die während der Besatzung in den Niederlanden gewohnt hätten. In einem Teil dieser Karten werde ebenfalls die Staatsangehörigkeit angegeben. Die Kartei sei beim Niederländischen Roten Kreuz archiviert.

 

Die Europäische Zentralkartei sei eine Zusammenstellung der Ergebnisse von Ermittlungen nach Verstorbenen und Vermissten, die nach Kriegsende vom Informationsbüro des Niederländischen Roten Kreuzes zusammengestellt worden sei und dort auch zur Verfügung stehe. In einem kleinen Teil der Personalkarten sei die Staatsangehörigkeit angegeben. Eine Überprüfung sämtlicher 1939 Personen anhand dieser Quellen habe ergeben, dass 51% die deutsche Staatsangehörigkeit gehabt hätten. 16% seien nicht deutsche Staatsangehörige gewesen. Bei 33% habe sich anhand der Quellen keine Sicherheit über die Staatsangehörigkeit gewinnen lassen. Ferner komme in Betracht, dass auch Personen mit nicht deutschem Geburtsort die deutsche Staatsangehörigkeit besessen haben, wenngleich hierüber quantitativ keine Aussage getroffen werden könne. Jedenfalls seien annähernd 1000 Personen, die im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nach Sobibor deportiert worden seien, deutsche Staatsangehörige gewesen, wobei sich in jedem einzelnen der 15 Züge jeweils deutsche Staatsangehörige befunden hätten.

 

3. Würdigung der Sachverständigen Dr. Grü.

 

Die Ausführungen der Sachverständigen waren erkennbar von langjähriger Berufserfahrung und intensiver Beschäftigung mit dem Quellenmaterial getragen und liessen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass die "Westerborklisten" eine für die Feststellung der zahlreichen Opfer tragfähige, insbesondere auf Grund intensiver Ermittlungen hervorgegangene Basis darstellen.

 

Hinsichtlich der verwendeten Transportlisten finden die Darlegungen der Sachverständigen auch Bestätigung in den Angaben des Zeugen Prof.Dr. HtC., der als Historiker am Zentrum für Holocauststudien in Amsterdam tätig ist und in dieser Funktion die Transportlisten, welche die Sachverständige Dr. Grü. als Quellen verwendete, ebenfalls angesehen und im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit ausgewertet hat. Der Zeuge berichtete, dass er ebenfalls drei verschiedene Listentypen zu Gesicht bekommen habe, wobei er Aufbau und Inhalt - auch anhand von Kopien - beschrieb. Eigene Schlussfolgerungen zog der Zeuge hierbei nicht. Abweichende Erkenntnisse, welche die gutachterlichen Äusserungen der Sachverständigen Dr. Grü. in Zweifel ziehen könnten, ergaben sich nicht.

 

4. Zeuge Jules Sc.

 

Die Erkenntnisse aus den gutachterlichen Äusserungen der Sachverständigen Dr. Grü. stehen auch in Einklang mit den Aussagen des als Zeugen vernommenen Nebenklägers Jules Sc.

 

Jules Sc., nunmehr 90 Jahre alt, hat sich über Jahrzehnte hinweg umfassend mit der Aufarbeitung der Geschichte des Vernichtungslagers Sobibor befasst und ein Standardwerk hierüber verfasst, in dem er auch die Westerborklisten publiziert hat. Er berichtete aus eigener Erinnerung in präzisen, klaren und einprägsamen Worten über seine Deportation.

 

Er sei zusammen mit seiner jungen Ehefrau am 1.Juni 1943 von Westerbork mit dem Zug nach Sobibor verbracht worden. Während seine Frau noch am Ankunftstag, dem 4.Juni 1943 getötet worden sei, habe er es gleichsam zufällig geschafft, sich einer ausgesonderten Gruppe von 80 Personen, die für Arbeitstätigkeiten vorgesehen gewesen sei, als 81.Mann anzuschliessen. Er sei ins Arbeitslager nach Dorohucza gekommen.