Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXIV

Verfahren Nr.732 - 746 (1970 - 1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.734a LG Braunschweig 12.06.1970 JuNSV Bd.XXXIV S.297

 

Lfd.Nr.734a    LG Braunschweig    12.06.1970    JuNSV Bd.XXXIV S.306

 

bei genügender Gewissensanspannung bei seinen geistigen Fähigkeiten, seinem Werdegang bis zum Eintritt in die SS und seiner inneren Einstellung gegenüber den Häftlingen erkennen können, dass die Anordnung wegen des von ihr verfolgten verbrecherischen Zwecks der Hinrichtung von Menschen ohne Gerichtsurteil und ohne militärisch rechtfertigenden Grund für ihn unverbindlich war und dass er sie deswegen nicht zu befolgen brauchte. Es bestand auch weder für ihn noch für einen seiner Angehörigen oder für einen anderen eine wirkliche oder auch nur eine von ihm angenommene gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben, die er auf keine andere Weise als durch die Hinrichtungen hätte abwenden können. Er hat sich damals noch nicht einmal Gedanken darüber gemacht, welche Folgen eine Befehlsverweigerung für ihn haben würde. Heute sagt er, dass es soldatisch unmöglich gewesen wäre, die Anordnung vom 11.9.1944 auch nur zu kritisieren oder etwa eine Begründung anzufordern, und dass er bei einer Weigerung wohl als Judenfreund, als unsoldatisch und als Weichling angesehen und entsprechend behandelt worden wäre, so dass er sein "Offizierspatent" verloren hätte und als einfacher SS-Mann an die Front, möglicherweise in eine Bewährungseinheit gekommen wäre. Die Hinrichtungen lagen aber auch in seinem Interesse als Lagerkommandant. Er war gegenüber seinen Vorgesetzten für Ruhe und Ordnung in allen Lagern des KL Gross-Rosen verantwortlich. Dazu gehörte die Dämpfung der unter den Häftlingen wegen der nahen Front verstärkten Hoffnung auf eine baldige Befreiung oder eine glückende Flucht sowie die reibungslose Fortführung der Arbeiten in den verschiedenen Lagern. Sein Pflichteifer bewog ihn, dass er die Tötungen der geflohenen Häftlinge in Kenntnis der Rechtswidrigkeit auch als eigene Taten wollte, um nach wie vor gegenüber seinen Vorgesetzten als der Mann dazustehen, der Ruhe und Ordnung schaffen und auch aufrechterhalten konnte. Somit erliess er am 11.10.1944 folgenden Exekutionsbefehl:

 

"Konzentrationslager Gross-Rosen                        den 11.Oktob.44

Der Lagerkommandant

 

Betreff: Exekution des Transportjuden Ludwig Fischer, geb. am 9.7.16 in Nyiracsad, Gef.Nr.33815

 

Gem. Anordnung des SS-W.V.H.A., Amtsgruppe D I vom 11.9.1944, Az.: 14 f I/U.S., Geh.Tgb.Nr.513/44 Gr.R. befehle ich hiermit die Exekution des og. Häftlings durch den Strang, weil er am 10.8.1944 von seinem Arbeitskommando Riese geflohen ist. Lt. Meldung des SS-Gerichtsführers liegt ein Verschulden der Posten nicht vor.

(es folgt die Unterschrift des Angeklagten)

SS-Sturmbannführer

und Lagerkommandant."

 

Ferner richtete er folgendes Schreiben an das Arbeitslager Riese:

 

"Betreff: Jude Ludwig Fischer

Bezug: Dort. Fluchtmeldung

Anlagen: keine

 

An das Arbeitslager Riese

z.Hd. SS-Hauptsturmführer Lütkemeyer

Wüstegiersdorf

 

Der oben genannte Häftling, Jude ... Ludwig Fischer, geb. am 9.7.1916 in Nyiracsad, Gef.Nr.33815, ist wegen Flucht aus dem A.L. Riese durch Erhängen zu exekutieren. Die Exekution ist vor den Häftlingen des betreffenden Lagers, aus dem der Jude geflüchtet war, durchzuführen. Sie sind mir dafür