Justiz und NS-Verbrechen Bd.XX

Verfahren Nr.569 - 589 (1964 - 1965)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.579a LG Aurich 26.06.1964 JuNSV Bd.XX S.281

 

Lfd.Nr.579a    LG Aurich    26.06.1964    JuNSV Bd.XX S.306

 

des Zeugen Böhme oder ganz auf eigene Verantwortung mehrfach Exekutionen von jüdischen Männern, Frauen und Kindern durch. So liessen u.a. der Postenführer des Grenzpolizeipostens Laugszargen, Kriminalsekretär Schwarz, in Tauroggen in der Zeit vom 3. bis 10.Juli 1941 122 männliche Juden und im September 1941 mindestens 130 jüdische Frauen und Kinder und der Postenführer des Grenzpolizeipostens Schmalleningken, Kriminaloberassistent Carsten, Anfang Juli 1941 bei Schmalleningken einen Juden und im Juli oder August 1941 bei Georgenburg mindestens 100 Juden (meist Frauen und Kinder) erschiessen. An den Mordtaten des Kriminalsekretärs Schwarz beteiligte sich wahrscheinlich auch der Bürgermeister von Laugszargen und Führer des in Laugszargen stationierten SS-Reitersturmes 4/20, SS-Untersturmführer Mertins, der unmittelbar nach Beginn des Russlandfeldzuges als Stadtkommissar und Ernährungsleiter von Tauroggen eingesetzt worden war.

Insgesamt sind nach den im Ulmer Schwurgerichtsprozess 81 getroffenen Feststellungen durch das "Einsatzkommando Stapo und SD-Abschnitt Tilsit" in der Zeit vom 24.Juni bis Ende September 1941 rund 4500 Juden und Kommunisten getötet worden.

 

Die Erschiessungen spielten sich fast immer nach dem gleichen Schema ab. Es wurde - von litauischen Hilfskräften oder von den Opfern selbst - eine Grube ausgehoben. Dann wurden die Opfer in kleineren oder grösseren Gruppen an die Grube herangeführt, wobei ihnen die Wertsachen und die noch brauchbare Oberbekleidung abgenommen wurden. Sie mussten sich am Grubenrand niederknien und wurden mittels Karabinern oder Pistolen durch Genickschüsse getötet. Dabei mussten die am Exekutionsplatz versammelten Opfer häufig die Erschiessung ihrer Vorgänger mit ansehen. Wenn die Leichen der Erschossenen nicht von selbst in die Grube fielen, mussten die nachfolgenden Opfer sie vor ihrer eigenen Erschiessung in das Massengrab werfen. Gelegentlich wurden die Opfer auch einzeln an den Grubenrand gezerrt, zum Niederknien gezwungen und durch Genickschüsse getötet. Etwaige Fluchtversuche wurden von den Angehörigen des Einsatzkommandos durch rücksichtslosen Gebrauch der Schusswaffe unterbunden.

Bei den Erschiessungen kam es oft zu erschütternden Szenen, so wenn Väter und Söhne, Mütter und Säuglinge gemeinsam erschossen wurden oder wenn die Getroffenen nicht sofort tot waren und aus der Grube nach einem Nachschuss riefen. Daher kam es wiederholt vor, dass Angehörige des Erschiessungskommandos ausgewechselt werden mussten, weil sie das grauenhafte Geschehen nicht länger ertragen konnten.

 

Die Stapostelle Tilsit berichtete anfangs über jede Erschiessungsaktion mit genauen Angaben über die Zahl der erschossenen Personen an den Führer der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, und an das Amt IV des RSHA. Gleiche Meldungen erstattete der Zeuge Hersmann an das Amt III des RSHA. Von einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt an, der wahrscheinlich Anfang oder Mitte Juli 1941 liegt, wurden aber nicht mehr sämtliche Erschiessungen in den Meldungen der Stapo und des SD-Abschnitts Tilsit erfasst. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass jetzt mehrfach Erschiessungsaktionen kleineren Umfangs vorkamen, deren Meldung nach Berlin man nicht für erforderlich hielt, und dass die genaue Erfassung der von den Grenzpolizeiposten auf Grund der sogenannten Generalvollmacht des Zeugen Böhme durchgeführten Erschiessungen auf Schwierigkeiten stiess.

Ein Teil der ermittelten Angehörigen des Einsatzkommandos Stapo- und SD-Abschnitt Tilsit, darunter die Zeugen Böhme, Hersmann, Sakuth, Kreuzmann und Harms, ist durch Urteil des Schwurgerichts in Ulm vom 29.August 1958 (Ks 2/57) 82 wegen Beihilfe zum Mord zu mehrjährigen Zuchthausstrafen verurteilt worden. Die ehemaligen Kriminalkommissare Krumbach und Gerke sind durch Urteil des Schwurgerichts in Dortmund vom 5.Februar 1963 (10 Ks 1/62) 83 ebenfalls wegen Beihilfe zum Mord mit Zuchthaus bestraft worden.

 

81 Siehe Lfd.Nr.465.

82 Siehe Lfd.Nr.465.

83 Siehe Lfd.Nr.547.