Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXIV

Verfahren Nr.732 - 746 (1970 - 1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.734a LG Braunschweig 12.06.1970 JuNSV Bd.XXXIV S.297

 

Lfd.Nr.734a    LG Braunschweig    12.06.1970    JuNSV Bd.XXXIV S.301

 

Prämienwertes von ihrem Guthaben abheben und konnten mit diesem Geld in der Kantine zusätzliche Lebensmittel einkaufen. Der Angeklagte war um hinreichende Kantinenvorräte bemüht. Er liess Kartoffeln einkellern und beschaffte Essig-Früchte (Mixed Pickles). Dabei war sein Grundsatz: ohne vollen Magen keine Leistung. Das gesamte Arbeitslager, auf dessen Gelände sich auch die Werkhallen und ein als Feuerlöschteich getarntes Schwimmbad befanden, war "KL-mässig" durch Drahtzäune und Wachttürme gesichert. Während seiner Zeit als Lagerführer bewarb sich der Angeklagte um seine Versetzung zu einer Fronteinheit. Bevor er darauf jedoch eine Antwort erhielt, wurde er nach Oranienburg zu Glücks bestellt. Der Angeklagte trug Glücks seinen Wunsch auf Versetzung mündlich vor, erhielt jedoch den Befehl, das KL Gross-Rosen als Kommandant zu übernehmen, wobei Glücks äusserte: "Sie müssen mir erst einmal Ordnung schaffen in Gross-Rosen." Nach den Worten des Angeklagten sollte er den damaligen Kommandanten Hauptsturmführer Gideon wegen dessen mangelnder Dienstaufsicht (Has.: "die - gemeint waren die SS-Leute - konnten machen, was sie wollten") und schlechter Lebensführung (Has.: "Wein, Weib und Gesang") ablösen. Mit Wirkung vom 11.10.1943 wurde er nach Gross-Rosen als Kommandant des dortigen KL versetzt.

 

Das KL Gross-Rosen war im August 1940 als Aussenlager des KL Sachsenhausen errichtet worden. Es war ein Arbeitslager. Die Häftlinge des Stammlagers wurden zum Teil für die SS-Firma "Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH" zum Abbau des in der Nähe gefundenen roten Granits und zum Teil für den weiteren Ausbau des Lagers eingesetzt. Mit Wirkung vom 1.5.1941 wurde das Lager ein selbständiges KL der Lagerstufe II. Zur Zeit der Übernahme durch den Angeklagten im Oktober 1943 befanden sich im Stammlager etwa 2.500 bis 3.000 Häftlinge, in den 3 Aussenlagern und den 2 Aussenkommandos etwa 2.000 Häftlinge. Zur Bewachung standen dem Angeklagten 350 SS-Leute zur Verfügung. Als etwa Anfang 1944 die alliierten Luftangriffe auf das Reich und die Produktionsstätten immer mehr zunahmen und die Rüstungswirtschaft erheblich beeinträchtigten, verlagerten viele Firmen ihre Fertigungsbetriebe nach Schlesien, das als "Luftschutzkeller des Reiches" galt. Gleichzeitig beschaffte die SS die erforderlichen Arbeitskräfte, indem sie bereits Inhaftierte aus anderen Lagern zur Verfügung stellte oder weitere Personen zwangsweise in die den Fertigungsbetrieben zugeordneten Arbeitslager verbrachte. Durch diese Massnahmen erhöhte sich im Laufe des Jahres 1944 die Zahl der Häftlinge im Stammlager auf etwa 4.000, in den Aussenlagern auf etwa 80.000. Ende 1944 hatte das KL Gross-Rosen etwa 80 Aussenlager, davon 25 bis 30 ausschliesslich mit jüdischen Häftlingen belegte Lager. Der Angeklagte hatte 1944 etwa 120 über Schlesien verteilte, nicht zu einem KL gehörende Arbeitslager mit ausschliesslich jüdischen Insassen übernehmen und diese rund 20.000 Juden auf 25 Arbeitslager konzentrieren müssen. Ferner erhielt er jüdische Häftlinge aus dem KL Auschwitz, die wegen des Mangels an Arbeitskräften und ihrer Arbeitseinsatzfähigkeit zunächst von der Tötung in Birkenau ausgenommen worden waren. Sie waren im Rahmen der beabsichtigten "Endlösung der Judenfrage" zur Tötung nach Auschwitz gebracht worden, wobei die "Transportzuständigkeit" beim Reichssicherheitshauptamt (RSHA) und die Zuständigkeit für den Arbeitseinsatz beim Inspekteur KL bzw. beim WVHA lag. Sie bildeten die besondere Häftlingskategorie der "Arbeitsjuden" oder "Transportjuden" neben den Häftlingen, gegen die Schutzhaft oder polizeiliche Vorbeugungshaft angeordnet war. Zuständig für die Verhängung von Schutzhaft war das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapa) gemäss den Schutzhafterlassen vom 12./26.4.1934 und vom 25.1.1938 i.V. mit den Gesetzen über die Errichtung des Gestapa vom 26.4.1933 (Pr.Ges. S.112) und vom 10.2.1936 (Pr.Ges. S.21). Das Gestapa wiederum war ein Teil (Amt IV) des mit Wirkung vom 1.10.1939 durch Zusammenfassung der Sicherheitspolizei und des SD gebildeten RSHA, wobei die Sicherheitspolizei aus der Sparte Politische Polizei (praktisch allein Gestapa) und Kriminalpolizei (Preussisches Landeskriminalpolizeiamt, ab 16.7.1937 Reichskriminalpolizeiamt RKPA) bestand. Chef der Sicherheitspolizei und des SD (CSSD) und damit des RSHA war Heydrich, nach dessen Tod Kaltenbrunner, während Himmler Chef der Deutschen Polizei (ChdDtPol) war, zu der ausser den