Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLIX

Verfahren Nr.920 - 924 (2002 - 2012), 880 (Erratum), 950 - 959 (1945 - 1960; Nachtragsverfahren)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.924 LG München II 12.05.2011 JuNSV Bd.XLIX S.227

 

Lfd.Nr.924    LG München II    12.05.2011    JuNSV Bd.XLIX S.293

 

bei den vorher dargestellten Ausführungen, auf die Angaben von SS- und Polizeikräften in den gegen diese geführten Verfahren und die Aussagen überlebender Häftlinge.

 

f) Die Rolle der Wachmannschaften

 

Der Sachverständige Dr. P. analysierte ferner die Rolle der Wachmannschaften aus Trawniki, die in Sobibor eingesetzt waren. Er legte dar, dass die Dokumentation dieser Einsätze zwar lückenhaft sei, sich das Personal zumindest für das Jahr 1943 jedoch in wesentlichen Zügen rekonstruieren habe lassen.

 

Nach den ausgewerteten Transferlisten seien 1943 über 200 neue Trawniki-Männer nach Sobibor gekommen. Während im Sommer 1942 die Wachmannschaften zunächst noch hätten aufgestockt werden müssen, seien 1943 aber sicher drei Züge zu jeweils mindestens 30 Mann in Sobibor stationiert gewesen. Die einzelnen Züge hätten jeweils einem Zugführer meist sowjetdeutscher Herkunft unterstanden, wobei diesem jeweils ein deutscher Lagerfunktionär übergeordnet gewesen sei, der in jedem Fall die Befehlsgewalt innegehabt habe. Die Hauptaufgabe der Trawniki-Männer habe in der Aussenbewachung des Lagers bestanden. Dort hätten sie Wachtürme besetzt und bei Aussenkommandos Wachdienst geleistet.

 

Es gebe daneben zahlreiche Hinweise darauf, dass die Wachmannschaften aus Trawniki auch innerhalb des Lagers in allen Bereichen eingesetzt gewesen seien, anfangs etwa noch beim Abtransport der Leichen aus den Gaskammern oder auch beim Entladen der ankommenden Deportierten,im Übrigen auch in der Sicherung der einzelnen Lagerteile. Der Schwerpunkt der Tätigkeit habe sich jedoch im Bereich der Aussensicherung bewegt.

 

Besondere Verhältnisse hätten jedoch immer dann geherrscht, wenn die Ankunft eines Deportationstransportes angekündigt gewesen und dieser eingetroffen sei. Dann seien nicht nur annähernd alle Reichsdeutschen in Bereitschaft gewesen, sondern auch alle Trawniki-Männer nach gesonderter Einteilung. An solchen Tagen seien auch keine externen Arbeitskommandos ausgerückt. Das Einlaufen des Zuges durch das Lagertor sei ebenso bewacht worden wie die Tätigkeit des "Bahnhofskommandos" beim Ausladen der Opfer. Die Trawniki-Männer hätten auch die Opfer beim Entkleiden im Bereich des "Lagers II" bewacht; einige Trawniki-Männer seien ferner zur Begleitung der Opfergruppen, die durch den "Schlauch" getrieben worden seien, abgestellt gewesen.

 

Es sei - von wenigen Einzelfällen abgesehen - nicht mehr möglich, einzelnen Mitgliedern der Trawniki-Wachmannschaften konkrete einzelne Verhaltensweisen historisch zuzuordnen. Jedenfalls seien sämtliche Wachmänner bei den einzelnen Vernichtungsvorgängen innerhalb des gesamten Bewachungssystems zu konkreten Tätigkeiten abgeordnet oder in Bereitschaft gesetzt gewesen.

 

Ob die Wachmänner in Sobibor ansonsten ausserhalb der Dienststunden Ausgang hatten, sei zwar nicht eindeutig geklärt, es gebe jedoch Hinweise darauf, dass trotz fehlender Erlaubnis der Lagerleitung die sowjetdeutschen Zugführer Ausgänge zu umliegenden Dörfern ermöglichten, wobei bei unerlaubter Abwesenheit nach der Rückkehr ins Lager auch die Prügelstrafe habe verhängt werden können.

 

Über Fluchten von Trawniki-Männern aus Sobibor sei über wenige dokumentierte Einzelfälle hinaus nichts Generelles bekannt, wenngleich das Quellenmaterial zumindest Hinweise darauf gebe; von den Vernichtungslagern Belzec und Treblinka sei hingegen bekannt, dass dort relativ viele Trawniki-Männer geflüchtet seien, teilweise sogar in grösseren Gruppen.

 

Die meisten Trawniki-Männer seien 1943/1944 an andere Dienststellen wie Konzentrationslager versetzt worden. Am 21.Juli 1944 hätten sich die deutschen Einheiten aus dem Raum