Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLIX

Verfahren Nr.920 - 924 (2002 - 2012), 880 (Erratum), 950 - 959 (1945 - 1960; Nachtragsverfahren)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.924 LG München II 12.05.2011 JuNSV Bd.XLIX S.227

 

Lfd.Nr.924    LG München II    12.05.2011    JuNSV Bd.XLIX S.291

 

lassen, wozu es jedoch im Ergebnis nicht mehr gekommen sei. Jedoch hätten Arbeiten zum Aufbau des hierfür vorgesehenen "Lagers IV" begonnen.

 

Hinweise auf Nebenlager des Vernichtungslagers Sobibor seien nicht bekannt. Es habe im Distrikt Lublin eine Vielzahl von Zwangsarbeitslagern gegeben, die vor allem von der Zivilverwaltung beaufsichtigt worden seien. Daneben habe der SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin frühzeitig eigene Lager errichten lassen und auch bereits zuvor existierende Lager übernommen. Einige dieser Lager hätten insofern mit dem Vernichtungslager Sobibor zu tun gehabt, als teilweise Deportierte in Sobibor ausgesondert und in Zwangsarbeitslager weiterverschleppt worden seien. Bekannt geworden seien aber nur wenige Aussonderungen nach Dorohucza und Lublin.

 

Anfang 1943 habe das Reichssicherheitshauptamt in Berlin entschieden, dass die Deportation der Juden aus den Niederlanden nicht mehr nur nach Auschwitz erfolgen sollte, sondern auch nach Sobibor. Daraufhin sei es zu solchen Transporten aus den Niederlanden gekommen. Ferner seien auch Juden aus Frankreich, aus Ostgalizien und aus Weissrussland nach Sobibor verbracht und dort getötet worden.

 

Die Gesamtzahl der Opfer des Vernichtungslagers Sobibor sei nicht mehr genau zu ermitteln. Frühere gutachterliche Untersuchungen seien zu Schätzungen zwischen 153000 und 250000 Opfern gekommen, wobei speziell die Deportationen aus dem Generalgouvernement nur noch begrenzt rekonstruierbar seien. Eine zentrale Quelle sei eine Statistik, die der Organisator der "Aktion Reinhardt", Hermann Höfle, an die Sicherheitspolizei telegraphiert habe und die dabei vom britischen Geheimdienst abgefangen worden sei. Hiernach habe Höfle für 31.Dezember 1942 einen Stand von 101370 Ermordeten vermerkt. Unter Hinzurechnung der dokumentierten und sonst zu schätzenden Opfer aus dem Jahr 1943 liege die wahrscheinliche Gesamtzahl bei etwa 170000 Todesopfern.

 

Über die Herkunft der Opfer machte der Sachverständige die in den Feststellungen wiedergegebenen Angaben 136.

 

Die hinter diesen Zahlen stehenden Einzelschicksale seien nur noch fragmentarisch und punktuell rekonstruierbar. Eine namentliche Identifizierung sei fast ausschliesslich für die Opfer möglich, die aus Westeuropa deportiert worden seien, da insoweit umfangreicheres Quellenmaterial zur Verfügung stehe.

 

Das Schicksal der Juden, die nach Sobibor gekommen seien, sei jedenfalls regelmässig das Gleiche gewesen. Die überwiegende Mehrzahl sei von der deutschen Reichsbahn deportiert worden. Vergleichsweise wenige seien auch mit Lastkraftwagen, Pferdegespannen oder gar zu Fuss ins Lager gebracht worden. Die entsprechenden Züge habe die Sicherheitspolizei in Krakau bei der Reichsbahn oder ihrem Ableger im Generalgouvernement, der Ostbahn angefordert. Die genaue Zuweisung der Transportziele habe der Stab des SS- und Polizeiführers in Lublin vorgenommen. In der Regel seien die Opfer in überfüllten Güterwaggons deportiert worden, wobei insbesondere auf längeren Strecken die Fahrten oft tagelang gedauert hätten.

 

Gleichwohl habe es bei der Qualität der Zugtransporte noch Differenzierungen gegeben. Selbst bei den kürzeren Transporten innerhalb Polens seien aufgrund der qualvollen Enge und der mangelnden Verpflegung bereits zahlreiche, schätzungsweise bis zu 25% der Insassen auf dem Transport verstorben. Hingegen seien die Transporte speziell aus den Niederlanden anfänglich sogar noch mit regulären Reisewagen und später mit Güterwaggons, in

 

136 Siehe oben B IV 3 Seite 241 f.