Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLIX

Verfahren Nr.920 - 924 (2002 - 2012), 880 (Erratum), 950 - 959 (1945 - 1960; Nachtragsverfahren)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.924 LG München II 12.05.2011 JuNSV Bd.XLIX S.227

 

Lfd.Nr.924    LG München II    12.05.2011    JuNSV Bd.XLIX S.289

 

1. Sachverständiger Dr. P.

 

Der Sachverständige Dr. P. analysierte die Struktur des Vernichtungslagers Sobibor sowie die Rolle der dort eingesetzten Wachmannschaften.

 

a) Einrichtung des Lagers

 

Er legte dar, dass der Aufbau des zweiten Lagers der "Aktion Reinhardt", nämlich des Vernichtungslagers Sobibor im März 1942 begonnen habe.

 

Das Dorf Sobibor befinde sich am östlichen Rand des Distrikts Lublin und des Generalgouvernements, in der Nähe des Flusses Bug, also an der damaligen Demarkationslinie, die im Hitler-Stalin-Pakt vereinbart gewesen sei und die die heutige Ostgrenze Polens bilde. Das Vernichtungslager sei neben der Bahnstation Sobibor an der Bahnlinie Chelm - Wlodawa errichtet worden. Die Bahnstation sei wenige Kilometer ausserhalb des Dorfes Sobibor gelegen gewesen. In einer ersten Form sei das Lager etwa Ende Mai 1942 fertig gestellt gewesen, während der laufenden Massenvernichtung jedoch noch sukzessive weiter ausgebaut worden.

 

Obwohl man das Lager seit Ende 1943 systematisch demontiert habe, sei es zwischenzeitlich gelungen, die Topographie des Lagers weitgehend zu rekonstruieren. Dabei seien neben diversen Zeichnungen des Lageraufbaus, die von verschiedenen Personen aus dem Täter- und Opferkreis nach dem Krieg erstellt worden seien, auch Luftbilder der deutschen Luftwaffe aus den Jahren 1940 und 1944 zugänglich geworden; ferner hätten seit dem Jahr 2000 auch mehrere archäologische Grabungen Hinweise auf die Lage und die Ausdehnung des Lagers gegeben.

 

Der Sachverständige beschrieb das Lager wie festgestellt 127. Hierbei stützte er sich auf von ihm eingesehene und ausgewertete Aussagen ehemaliger Häftlinge, Trawniki-Männer sowie SS- und Polizeiangehöriger.

 

Zu Umfang und Zusammensetzung des Lagerpersonals machte der Sachverständige die in den Feststellungen enthaltenen Ausführungen 128. Weitere reichsdeutsche Funktionäre seien etwa der Lagerspiess mit Aufsichtsfunktion Franz Gustav Wagner sowie Kurt Bol., Hubert G. 129 und Josef Vallaster im "Lager III", Werner Dub. 130 als Leiter des sog. "Waldkommandos", Karl Frenzel 131 als Aufseher des "Lagers I" und des sog. "Bahnhofskommandos" sowie Erich Bauer 132 und Erich Fuc. 133 gewesen, die den Bau der Gaskammern überwacht hätten. Eine Analyse der Herkunft der reichsdeutschen Funktionäre habe ergeben, dass fast alle vor ihrem Einsatz in Sobibor am sog. "Euthanasie"-Programm ("Aktion T4"), also der systematischen Tötung von Kranken und Behinderten im Reichsgebiet mitgewirkt hätten. Zumeist seien sie Polizisten gewesen und erst in Sobibor als SS-Männer aufgetreten, wobei sie zumeist lediglich Unteroffiziersränge inne gehabt hätten.

 

127 Siehe oben B IV 1 Seite 240 f.

128 Siehe oben B IV 2 Seite 241.

129Siehe Lfd.Nr.017, 233 und 885.

130Siehe Lfd.Nr.642.

131Siehe 642 und 897.

132Siehe Lfd.Nr.212.

133Siehe Lfd.Nr.641.