Justiz und NS-Verbrechen Bd.XX

Verfahren Nr.569 - 589 (1964 - 1965)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.579a LG Aurich 26.06.1964 JuNSV Bd.XX S.281

 

Lfd.Nr.579a    LG Aurich    26.06.1964    JuNSV Bd.XX S.288

 

ernannt. Nach dem Anschluss des Memellandes an das Reich wurde er als Regierungsassistent in den preussischen Landesdienst übernommen und am 1.März 1940 zum Regierungssekretär befördert. Der Angeklagte Jagst war im Jahre 1938 in den Memelländischen Kulturbund und in den Memelländischen Ordnungsdienst (MOD) eingetreten, in dem er einen Unterführerposten (Gruppenführer) bekleidete. Nach dem Anschluss des Memellandes wurde er automatisch als Rottenführer in die allgemeine SS (Sturm 5 Sturmbann II Standarte 105) überführt und bald darauf zum SS-Unterscharführer befördert. Ausserdem trat er der NSDAP bei. Am 1.März 1942 wurde er zu einer Ersatzabteilung der Waffen-SS in Berlin-Lichterfelde einberufen. Da er aus gesundheitlichen Gründen nicht voll diensttauglich war, kam er nicht zum Fronteinsatz, sondern fand bei verschiedenen Einheiten als Rechnungsführer, zuletzt mit dem Dienstgrad eines Unterscharführers der Waffen-SS, Verwendung.

 

Am 8.Mai 1945 geriet Jagst in Österreich in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er nach etwa einem Jahr in die Zivilinternierung überführt wurde. Nach seiner Entlassung im September 1947 begab er sich nach Immensen (Kreis Burgdorf/Hannover), wohin seine Familie geflüchtet war. Bis zum Jahre 1952 verdiente er seinen Lebensunterhalt als Arbeiter bei der Bundesbahn. Am 15.Oktober 1952 wurde er vom Landkreis Burgdorf als Angestellter für die Bearbeitung von Lastenausgleichssachen eingestellt, am 1.April 1954 zum Kreissekretär ernannt und am 1.April 1957 zum Kreisobersekretär befördert.

Der Angeklagte Jagst hat im Jahre 1942 geheiratet und ist Vater von vier Kindern im Alter von 12 bis 20 Jahren.

Am 19.Mai 1960 wurde Jagst unter dem Verdacht der Beihilfe zum Mord vorläufig festgenommen. Er blieb bis zum 7.Dezember 1960 in Untersuchungshaft. Das Schwurgericht in Aurich verurteilte ihn durch Urteil vom 29.Mai 1961 63 wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum Mord in 50 Fällen zu drei Jahren Zuchthaus. Das Urteil ist rechtskräftig. Jagst befindet sich seit dem 30.Oktober 1962 in Strafhaft in der Straf- und Sicherungsanstalt Celle.

 

4. Al.

 

Der Angeklagte Al. wurde am 22.Dezember 1913 in Mischpettern (damals Kreis Pogegen) als Sohn des Bauern Michael Al. und seiner Ehefrau Grete geb. Löf. geboren. Er besuchte bis zu seinem 14. Lebensjahr die Volksschule in Nattkischken (damals Kreis Pogegen). Nach seiner Schulentlassung erlernte er in einem Gemischtwarengeschäft in Prökuls (Memel) den Kaufmannsberuf. Nachdem er etwa 1930 die kaufmännische Gehilfenprüfung bestanden hatte, war er mehrere Jahre als Verkäufer in einem Lebensmittelgeschäft in Nattkischken beschäftigt. Im Jahre 1934 wurde er zum litauischen Heer einberufen; er kam zur Infanterie nach Mariampol. Da er Memelländer war, wurde er nach zehnmonatiger Dienstzeit entlassen. Anschliessend arbeitete er wieder in Nattkischken als Verkäufer in einem Lebensmittelgeschäft. Von 1938 bis 1940 war er als Kellner in Pogegen beschäftigt. Als sein früherer Arbeitgeber 1940 zur Wehrmacht eingezogen wurde, kehrte er wieder nach Nattkischken zurück und führte dessen Lebensmittelgeschäft weiter.

Al. war 1938 dem Memelländischen Ordnungsdienst (MOD) beigetreten und wurde nach dem Anschluss des Memellandes automatisch in die SS überführt. Er gehörte dem 10. Sturm der 105. SS-Standarte an. Dieser Sturm hatte seinen Standort in Pogegen. Al. bekleidete in der SS den Rang eines Unterscharführers.

Im August 1941 wurde Al. zu einem Sondereinsatz der SS einberufen und mit der Bewachung jüdischer Arbeitskräfte im Kreis Heydekrug beauftragt. Am 22.Juli 1942 kam er zur Wehrmacht. Er wurde bei einem Einsatz in Italien am rechten Oberschenkel verwundet und geriet bei Kriegsende in amerikanische Gefangenschaft.

Nachdem Al. im Juni oder Juli 1945 aus der Gefangenschaft entlassen worden war, begab er sich nach Laboe, wo seine Verlobte sich nach ihrer Flucht aus dem Memelland niedergelassen hatte. Al. heiratete im September 1945; aus der Ehe sind zwei Kinder im Alter von 12 und 17 Jahren hervorgegangen.

Der Angeklagte wohnte von 1945 bis 1953 in Laboe. Er arbeitete erst im Tiefbau, dann als Lagermeister in einer Firma für Papier- und Bürobedarf und eröffnete später einen Kiosk

 

63 Siehe Lfd.Nr.511.