Justiz und NS-Verbrechen Bd.XX

Verfahren Nr.569 - 589 (1964 - 1965)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.579a LG Aurich 26.06.1964 JuNSV Bd.XX S.281

 

Lfd.Nr.579a    LG Aurich    26.06.1964    JuNSV Bd.XX S.285

 

Kulturbundes nicht in ihrer Gesamtheit in die NSDAP aufgenommen; sie konnten vielmehr nur durch Einzelaufnahme Parteimitglied werden.

Im Herbst 1944 wurde das Memelland von sowjetischen Truppen besetzt. Nach der Niederlage Deutschlands wurde Ostpreussen nördlich der Linie Braunsberg - Goldap, also auch das Memelland, auf Grund des Potsdamer Abkommens unter sowjetische Verwaltung gestellt und damit praktisch in die Sowjetunion eingegliedert.

 

III. Feststellungen zur Person der Angeklagten

 

1. Dr. Werner Scheu

 

Der Angeklagte Dr. Scheu wurde am 30.März 1910 in Heydekrug (Memelland) als Sohn des Kreisarztes Dr. Erich Scheu und seiner Ehefrau Helene geb. Hau. geboren. Seine Vorfahren waren Schiffsreeder in Memel gewesen. Sein Urgrossvater hatte das Familiengut "Adlig-Heydekrug" erworben. Der Grossvater des Angeklagten, Hugo Scheu, wurde 1920 als Nachfolger von Kapp ostpreussischer Generallandschaftsdirektor und bekleidete dieses Amt mehrere Jahre. Er hat sich durch verschiedene Schenkungen und in anderer Weise um die Stadt und den Kreis Heydekrug verdient gemacht. Sowohl der Vater als auch der Grossvater des Angeklagten waren nach der Abtrennung des Memellandes vom Deutschen Reich als Landräte in Heydekrug tätig. Die Familie Scheu genoss daher im ganzen Kreis Heydekrug ein hohes Ansehen.

Der Angeklagte hatte zwei Brüder (geboren 1912 und 1925); der ältere ist heute Oberforstmeister in Hamburg, der jüngere ist im zweiten Weltkrieg gefallen.

Nach Beginn des ersten Weltkrieges flüchtete die Familie Scheu vor der russischen Armee nach Amberg/Oberpfalz, wo der Vater des Angeklagten als Garnisonsarzt tätig war. Der Angeklagte besuchte in Amberg die Volksschule. Im Jahre 1918 kehrte die Familie wieder nach Heydekrug zurück, flüchtete aber bald wieder nach Königsberg, weil in der Nähe Kämpfe der Roten Armee gegen Litauer und "weisse" Russen stattfanden. Im April 1919 kehrte sie endgültig nach Heydekrug zurück.

Der Angeklagte besuchte nun die Herder-Schule (Oberschule) in Heydekrug. Sein Vater übernahm nach dem Einmarsch der Franzosen auf Wunsch der Bevölkerung den Posten des Landrates in Heydekrug und behielt dieses Amt bis zu seiner Absetzung durch die Litauer im Jahre 1923. Der Angeklagte erlebte als Schüler die Angliederung des Memellandes an Litauen, die Protestdemonstrationen der Bevölkerung und ihre gewaltsame Unterdrückung durch die Litauer.

Nachdem er im Jahre 1928 die Reifeprüfung bestanden hatte, widmete er sich auf den Universitäten München, Königsberg, Tübingen und Freiburg dem Medizinstudium. Er trat im Jahre 1932 in Tübingen der Hochschulgruppe des "Stahlhelm" bei und führte einen Reiterzug von 35 Mann; ausserdem wurde er deutscher Hochschulmeister im Pistolenschiessen. Im Januar 1933 erlebte er die sogenannte "Machtübernahme" in Deutschland. Nachdem er sein Studium mit dem Staatsexamen und der Promotion zum Dr.med. abgeschlossen hatte, kehrte er 1934 nach Heydekrug zurück.

Sein Vater, der nach seiner Absetzung als Landrat wieder als Kreisarzt und Chefarzt des Kreiskrankenhauses in Heydekrug gearbeitet hatte, war im Jahre 1929 verstorben. Der Angeklagte leistete nun seine Medizinalpraktikanten- und Assistenzarztzeit am Krankenhaus in Heydekrug ab. Nach dem Tode seines Grossvaters im Jahre 1937 erbte er das damals 3200 Morgen grosse Gut "Adlig-Heydekrug". Daraufhin gab er seinen Arztberuf auf und widmete sich ganz der Bewirtschaftung des Gutes. Als nach der "Reichskristallnacht" im November 1938 die meisten Juden, darunter auch die Assistenzärzte des Krankenhauses, das Memelland verliessen, arbeitete er jedoch im Winter 1938/1939 noch einmal vorübergehend als Assistenzarzt im Kreiskrankenhaus Heydekrug, um dem entstandenen Notstand abzuhelfen.

 

Im Januar 1939 stellte der Angeklagte Dr. Scheu auf Anregung des Führers der deutschen Volksgruppe, des Tierarztes Dr. Neumann, eine berittene Staffel des Memelländischen Ordnungsdienstes (MOD) im Kreis Heydekrug auf. Die Staffel war etwa 110 Mann stark. Sie wurde nach der Wiedervereinigung des Memellandes mit dem Deutschen Reich im März 1939 vorübergehend zur Grenzbewachung eingesetzt und dann als Sturm 2 der Reiterstandarte 20 in die SS überführt. Der Angeklagte wurde am