Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam
Lfd.Nr.579a LG Aurich 26.06.1964 JuNSV Bd.XX S.284
15. Brief der Eheleute Schulz vom 20.Mai 1961 an die Familie Görke,
16. Auskunft der Deutschen Bundesbahn-Betriebsleitung West vom 20.April 1964 über den Fahrplan der Kleinbahn Heydekrug - Kolleschen,
17. Auszug aus dem Urteil des Schwurgerichts Aurich vom 29.Mai 1961 (erster Absatz von Seite 74 der Urteilsausfertigung 61).
II. Das Schicksal des Memellandes
In dem Versailler Friedensvertrag musste das Deutsche Reich das Memelland (d.h. den nördlich der Memel und der Russ gelegenen Teil Ostpreussens) ohne Volksabstimmung an die alliierten und assoziierten Hauptmächte abtreten. Das Gebiet wurde von französischen Truppen besetzt. Es erhielt einen eigenen Staatsrat mit einem französischen Prefekten. Am 10.Januar 1923 fielen litauische Freischärler in das Memelland ein. Die französischen Truppen leisteten keinen Widerstand und zogen sich bald aus dem Memelland zurück. Die Botschafterkonferenz fügte sich dem vollzogenen Gewaltakt und erkannte die Souveränität Litauens über das Memelland an. In der Memelkonvention vom 8.Mai 1924 übertrugen die vier Hauptmächte alle ihre Rechte aus dem Versailler Vertrag an Litauen. Dem Memelland wurde durch das Memelstatut Autonomie unter litauischer Staatshoheit zugesichert. Während ein vom litauischen Staatspräsidenten ernannter Gouverneur in Memel die litauische Staatsgewalt vertrat, lag die Ausübung der vollziehenden Gewalt in den Händen eines aus fünf Personen bestehenden Landesdirektoriums. Die Mitglieder des Direktoriums wurden zwar vom litauischen Gouverneur ernannt, mussten aber das Vertrauen des memelländischen Landtages besitzen, der nach gleichem, geheimem und direktem Stimmrecht gewählt wurde. Die Wahlen zum Landtag ergaben stets eine grosse deutsche Mehrheit (mindestens 24 deutsche von insgesamt 29 Abgeordneten).
Die starke deutsche Opposition gegen die litauischen Unterdrückungsmassnahmen führte dazu, dass Litauen im Jahre 1926 den Kriegszustand über das Memelland verhängte. Die vollziehende Gewalt wurde dem Kriegskommandanten in Memel übertragen. Versammlungen unter freiem Himmel waren verboten, sonstige Versammlungen durften nur mit Genehmigung der politischen Polizei und in Gegenwart eines Polizeibeamten stattfinden. In der Folgezeit bildeten sich im Memelland neben den schon bestehenden deutschen Parteien zwei miteinander rivalisierende nationalsozialistische Parteien, die "Christlich-soziale Arbeitsgemeinschaft" (CSA) unter Führung des Pfarrers Freiherr von Sass und die "Sozialistische Volksgemeinschaft" (Sovog) unter Führung des Tierarztes Dr. Neumann. Beide Parteien wurden 1934 im Zusammenhang mit dem Kownoer Prozess, in dem Freiherr von Sass und Dr. Neumann sowie zahlreiche ihrer Anhänger zu hohen Strafen verurteilt wurden, verboten und aufgelöst, während die allgemeine Organisation der deutschen Volksgruppe, der Memelländische Kulturbund, weiterbestand und allmählich immer stärker unter nationalsozialistischen Einfluss geriet. Als Litauen am 1.November 1938 unter deutschem Druck den Kriegszustand aufhob, wurden aus den Mitgliedern des Kulturbundes nach reichsdeutschem Vorbild verschiedene Sonderformationen aufgestellt, so u.a. der Memeldeutsche Ordnungsdienst (MOD) als Gegenstück zur SS und die Sicherheitsabteilung als Gegenstück zur reichsdeutschen SA. Die Mitglieder des MOD trugen als Uniform braunes Hemd, schwarze Schibluse, schwarze Stiefelhose und eine Schimütze mit einer Elchschaufel als Abzeichen.
Am 22.März 1939 wurde das Memelland auf Grund eines Abkommens mit Litauen wieder Bestandteil des Deutschen Reiches (Gesetz über die Wiedervereinigung des Memellandes mit dem Deutschen Reich vom 23.März 1939, RGBl. I S.559). Es wurde in das Land Preussen und in die Provinz Ostpreussen eingegliedert und trat zu dem Regierungsbezirk Gumbinnen. Die Memelländer, die durch die Wegnahme des Memellandes im Jahre 1924 die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatten, wurden mit dem 22.März 1939 wieder deutsche Staatsangehörige, wenn sie an diesem Tage ihren Wohnsitz im Memelland oder im Deutschen Reich hatten.
Am 1.Mai 1939 traten im Memelland das gesamte Reichsrecht und das gesamte preussische Landesrecht in Kraft. Die Mitglieder des Memelländischen Ordnungsdienstes (MOD) wurden geschlossen in die SS übernommen, die Sicherheitsabteilungen wurden geschlossen in die SA überführt. Dagegen wurden die Mitglieder des Memelländischen
61 = JuNSV Bd.XVII S.452, 1.Absatz.