Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXVI

Verfahren Nr.758 - 767 (1971 - 1972)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.758 LG Kiel 02.08.1971 JuNSV Bd.XXXVI S.5

 

Lfd.Nr.758    LG Kiel    02.08.1971    JuNSV Bd.XXXVI S.28

 

21.Juli 1944 an die Aussenstelle in Tomaschow überliefert. Dieses Schreiben betraf die Räumung von Gefängnissen der Sicherheitspolizei und des SD. Es heisst dort unter anderem:

"Mit Entlassungen bitte ich sehr zurückhaltend zu sein. Soweit es die Frontlage erforderlich macht, sind rechtzeitig Vorkehrungen für eine Totalräumung der Gefängnisse zu treffen. Bei überraschender Entwicklung der Lage, die einen Abtransport der Häftlinge unmöglich macht, sind die Gefängnisinsassen zu liquidieren, wobei die Erschossenen nach Möglichkeit beseitigt werden müssen. (Verbrennen, Sprengung der Gebäude u.ä.). Gleichermassen ist eintretendenfalls mit den noch in der Rüstungsindustrie oder an anderen Stellen beschäftigten Juden zu verfahren. Unter allen Umständen muss vermieden werden, dass Gefängnisinsassen oder Juden vom Gegner, sei es WB oder Rote Armee, befreit werden bzw. ihnen lebend in die Hände fallen."

 

Dieser Vorgang ist zur Klärung des Sachverhalts, welcher der Anklage zugrunde liegt, wenig geeignet. Das vorliegende Schreiben nimmt nur auf Insassen der Gefängnisse der Sicherheitspolizei und des SD Bezug. Es handelt sich also nicht um ein Gefängnis der Justiz. Wegen der rechtlichen, aber auch wegen der tatsächlichen Verfügungsgewalt einerseits in einem Justizgefängnis und andererseits in einem Gefängnis der Polizei sind diese verschiedenen Vorgänge nicht direkt miteinander vergleichbar.

 

Vorgänge bei Räumungen in Justizvollzugsanstalten in den Oberlandesgerichtsbezirken Königsberg, Danzig, Kattowitz, Breslau und Stettin bei vorrückender Front weisen Ähnlichkeiten mit den nach Linz versandten Richtlinien auf. In keinem Fall konnte jedoch sicher festgestellt werden, dass die Räumungen tatsächlich auch an Hand dieser Richtlinien vorgenommen worden sind. Die Fälle sind darin vergleichbar, dass ein Teil der Gefangenen bei der Räumung entlassen wurde, ein weiterer Teil der Polizei überstellt und die übrigen Gefangenen auf Marsch in Richtung Westen gesetzt wurden. In einigen Fällen wurde nicht in Einklang mit den Richtlinien verfahren. Manche Gefangene, meist kranke oder marschunfähige, wurden auch einfach zurückgelassen, ohne dass von einer Entlassung die Rede war. Bei den der Polizei überstellten Gefangenen soll es sich um "gefährliche Gefangene", zu einem Teil auch um Ausländer gehandelt haben. Über das Schicksal dieser Gefangenen ist nicht in allen Fällen etwas bekannt geworden. In einigen Fällen konnte jedoch festgestellt werden, dass sie erschossen worden sind. In einigen Fällen wurden weitere Gefangene noch während des Marsches nach Westen erschossen. Hierbei soll es sich um kranke oder marschunfähige, erschöpft liegengebliebene Gefangene gehandelt haben. In einigen Fällen ist bekannt geworden, dass die Polizei die Übernahme von Gefangenen ablehnte. 115 Gefangene aus Wadowitz erreichten am 25.1.1945 das Stammlager Teschen. Sie sollten dort als Polen der Polizei übergeben werden. Da die Polizei ihre Gefangenen bereits abtransportiert hatte und neue nicht mehr annahm, wurden sie bis auf 10 Gefangene in Teschen entlassen. In Brieg lehnte am 22.1.1945 die Gestapo die Übernahme von NN-Gefangenen (Gefangene, die nach dem sogenannten Nacht- und Nebelerlass - also Ausländer aus dem westlichen Ausland - ohne Urteil festgehalten wurden) ab. Diese Gefangenen wurden, statt der Polizei übergeben zu werden, mit in Marsch nach Westen gesetzt. In Gollnow lehnte die Polizei am 15.3.1945 die Übernahme von 100 Gefangenen ab. In Teschen hatte ein Anstaltsvorsteher entgegen den Weisungen des Generalstaatsanwalts fast 500 Gefangene nach und nach entlassen. Auch die Insassen der Strafanstalt Wronke (Posen) gingen unter Leitung des Zeugen Jö. auf Treck, ohne Gefangene an die Polizei zu überstellen. Aus dem Zuchthaus in Gollnow wurden am 13.2.1945 auf Veranlassung des Zuchthausvorstehers unter anderem 34 Gefangene abtransportiert, die als "gefährliche Gefangene" der Polizei überstellt werden sollten, obwohl zum Abtransport die Zustimmung des Generalstaatsanwalts nicht vorlag. Der Anstaltsvorsteher will in Übereinstimmung mit dem Beauftragten des Inspekteurs der Sicherheitspolizei und des SD gehandelt haben, der diese Zustimmung bestritt. 104 polnische Zuchthausgefangene des Zuchthauses Fordon wurden am 11.2.1945 vom Jugendgefängnis Naugard i.P. nach Coswig