Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLIX

Verfahren Nr.920 - 924 (2002 - 2012), 880 (Erratum), 950 - 959 (1945 - 1960; Nachtragsverfahren)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.924 LG München II 12.05.2011 JuNSV Bd.XLIX S.227

 

Lfd.Nr.924    LG München II    12.05.2011    JuNSV Bd.XLIX S.273

 

auf Behandlung als ehrenhafter Soldat und nach dem Genfer Abkommen verloren.

Es entspricht daher dem Ansehen und der Würde der deutschen Wehrmacht, dass jeder deutsche Soldat dem sowjetischen Kriegsgefangenen gegenüber schärfsten Abstand hält. Behandlung muss kühl, doch korrekt sein. Jede Nachsicht und sogar Anbiederung ist strengstens zu ahnden. Das Gefühl des Stolzes und der Überlegenheit des deutschen Soldaten, der zur Bewachung sowjetischer Kriegsgefangener befohlen ist, muss jederzeit auch für die Öffentlichkeit erkennbar sein.

Rücksichtsloses und energisches Durchgreifen bei den geringsten Anzeichen von Widersetzlichkeit, insbesondere gegenüber bolschewistischen Hetzern ist daher zu befehlen. Widersetzlichkeit, aktiver oder passiver Widerstand muss sofort mit der Waffe (Bajonett, Kolben und Schusswaffe) restlos beseitigt werden. [...] Bei den sowjetischen Kriegsgefangenen ist schon aus disziplinären Gründen nötig, den Waffengebrauch sehr scharf zu handhaben. [...] Auf flüchtige Kriegsgefangene ist sofort ohne vorherigen Haltruf zu schiessen. Schreckschüsse dürfen niemals abgegeben werden. [...] Waffengebrauch gegenüber sowjetischen Kriegsgefangenen gilt in der Regel als rechtmässig. [...]"

 

Ferner enthält die Anordnung noch weitere Befehle und Regelungen, unter anderem die Möglichkeit zur Aussonderung Angehöriger bestimmter Volkstumsgruppen, etwa Volksdeutsche, Ukrainer und Weissrussen, ferner Regeln über die "Aussonderung" abhängig von einer politischen Einstufung in "unerwünscht", "ungefährlich" und "besonders vertrauenswürdig". Desweiteren wird eine äusserst strenge Bewachung der sowjetischen Kriegsgefangenen bei Arbeitseinsätzen geregelt.

 

Diese Anordnung eröffnete den deutschen Machthabern die Möglichkeit, in den Kriegsgefangenenlagern gegenüber sowjetischen Kriegsgefangenen jegliche Form von Härte und Demütigung an den Tag zu legen.

 

c) Lebensbedingungen in den Kriegsgefangenenlagern

 

Die sich aus der Anordnung und ihrer Umsetzung ergebenden und vom Sachverständigen Dr. P. geschilderten schlechten Lebensbedingungen in den Kriegsgefangenenlagern spiegeln sich auch in diversen Aussagen ehemaliger Kriegsgefangener, die zur Ausbildung in Trawniki ausgesucht wurden, wider. Die Aussagen beinhalten ferner inhaltlich im Wesentlichen übereinstimmende Schilderungen zum Rekrutierungsverfahren.

 

aa) Der in der Hauptverhandlung vernommene Zeuge Karpo Nag. ist einer der letzten noch lebenden Trawniki-Männer.

 

Er gab an, dass er als sowjetischer Soldat in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und im Kriegsgefangenenlager in Chelm für etwa ein halbes Jahr gefangen gehalten worden sei. Es habe ständiger Nahrungsmangel geherrscht. Die Gefangenen hätten Essensreste der deutschen Bewacher gesammelt und gekocht, was jedoch die Deutschen wieder verhindert hätten. Es habe auch keine Schlafbaracken gegeben. Man habe im Freien schlafen müssen. Es seien Kameraden vor seinen Augen verhungert. Andere seien erschossen worden, wenn sie hungrig umgefallen seien. Das Leben sei extrem schwer gewesen.

 

Nach etwa einem halben Jahr Kriegsgefangenschaft 1941 seien deutsche Offiziere und Ukrainer in das Lager gekommen und hätten ihn zusammen mit anderen zu Arbeiten abgeholt, wobei er keine näheren Informationen erhalten habe. Er sei nach Trawniki verbracht worden und habe dort Marschierübungen absolviert und eine Einweisung in die Handhabung von Karabinern erhalten.