Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLIX

Verfahren Nr.920 - 924 (2002 - 2012), 880 (Erratum), 950 - 959 (1945 - 1960; Nachtragsverfahren)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.924 LG München II 12.05.2011 JuNSV Bd.XLIX S.227

 

Lfd.Nr.924    LG München II    12.05.2011    JuNSV Bd.XLIX S.269

 

g) Einsatz in den Vernichtungslagern

 

Mit der Räumung des Lubliner Ghettos und der Deportation von etwa 18000 Juden ins Vernichtungslager Belzec am 16./17.März 1942 habe der systematische Einsatz von Wachmännern des Ausbildungslagers Trawniki im Rahmen der Massenvernichtung begonnen.

 

Kompanien aus Trawniki seien kontinuierlich bei Ghettoräumungen im Generalgouvernement eingesetzt gewesen, nicht zuletzt bei der grossen Deportation aus dem Warschauer Ghetto von Juli bis September 1942 oder bei der Niederschlagung des Warschauer Ghettoaufstandes im April/Mai 1943. Insgesamt hätten die Wachmannschaften aus Trawniki einen erheblichen Teil des Personals bei den Ghettoräumungen, die wiederum zentraler Bestandteil der Massenmorde der "Aktion Reinhardt" gewesen seien, gestellt. Ferner seien die Trawniki-Männer auch als Bewacher von Zwangsarbeitslagern für Juden eingesetzt gewesen.

 

In den drei Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka seien durchschnittlich etwa je 100 bis 150 Wachmänner eingesetzt gewesen, wobei die Zahl im Laufe der Monate schwankend gewesen sei. Die Wachmänner seien in der Regel in drei Zügen pro Lager organisiert gewesen, wobei höherrangige Hilfskräfte - meist Volksdeutsche - auch Leitungs- und Überwachungsfunktionen ausgeübt hätten.

 

Es habe immer wieder dokumentierte Personalrotationen unter den Wachmännern, auch zwischen den Vernichtungslagern, gegeben. Im März 1943 sei dort ein allgemeiner Personalaustausch festzustellen gewesen. Aus den Aussagen und Dokumenten ergebe sich eine durchschnittliche Verweildauer von vier bis acht Monaten in einem Lager.

 

h) Disziplinarmassnahmen

 

Insgesamt seien die Wachmänner, die meist jung gewesen seien und einen niedrigen Bildungsstandard gehabt hätten, vergleichsweise unzuverlässig gewesen. Disziplinarverstösse wie ausgiebiger Alkoholkonsum, Aneignung von Opfereigentum oder unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst seien an der Tagesordnung gewesen. Obwohl disziplinarische Strafen, etwa mehrwöchiger Arrest oder gelegentlich auch Prügelstrafe sowie Ahndungen von mehreren Monaten Haft bei unerlaubtem Fernbleiben vom Dienst durch das SS-Gericht bis hin zur Rücküberweisung ins Kriegsgefangenenlager oder die Einweisung ins Konzentrationslager Lublin-Majdanek möglich gewesen seien, habe schätzungsweise jeder dritte Wachmann disziplinarische Verstösse gezeigt.

 

Im Gegensatz zum - regelmässig nur disziplinarisch relevanten - unerlaubten Fernbleiben vom Dienst, also insbesondere ohne Waffe, seien Desertionen, mithin die Flucht während des Dienstes mit der Waffe in der Hand, sofern man den Wachmann festnehmen habe können, regelmässig mit dem sofortigen Erschiessen oder Erhängen vor versammelter Mannschaft geahndet worden. Hintergrund dieser drastischen Sanktionen sei die Befürchtung gewesen, dass bewaffnete Wachmänner zu den Partisanen überlaufen würden.

 

Viele Wachmänner, welche die Flucht aus den Lagern ergriffen hätten, seien zu den Partisanen übergelaufen. Dies gehe aus zahlreichen Aussagen von Trawniki-Männern hervor. Als Ukrainer in einem polnischen Umfeld habe man es schwierig gehabt. Anders im Bereich um Chelm mit einem starken ukrainisch sprechenden Bevölkerungsteil, der bis in die Gegend um Sobibor gereicht habe. Die Partisanen hätten ab Herbst 1942 durchaus auch Leute aufgenommen, von denen sie gewusst hätten, dass sie vorher in deutschen Diensten gestanden hätten.

 

Generell hätten junge Männer, die sich von der Trawniki-Truppe entfernt hätten, versucht nach Hause zu kommen, was im besetzten Gebiet aber schwierig gewesen sei. Von Repressalien gegen Familienangehörige geflohener Trawniki-Männer sei ihm nichts bekannt. Dies