Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLIX

Verfahren Nr.920 - 924 (2002 - 2012), 880 (Erratum), 950 - 959 (1945 - 1960; Nachtragsverfahren)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.924 LG München II 12.05.2011 JuNSV Bd.XLIX S.227

 

Lfd.Nr.924    LG München II    12.05.2011    JuNSV Bd.XLIX S.268

 

f) Status der Wachmänner

 

Vom organisatorischen Ansatz her seien die Wachmannschaften ursprünglich primär dazu vorgesehen gewesen, Globocniks SS- und Polizeistützpunkte in den neu eroberten sowjetischen Gebieten mit Personal zu versorgen. Dementsprechend sei das Lager Trawniki formell auch dem Bereich der Ordnungspolizei zugeordnet gewesen, deren Chef allerdings ebenfalls Globocnik in seiner Funktion als Sonderbeauftragter gewesen sei. Allerdings sei wegen der starken Gegenwehr der Roten Armee an eine Verwirklichung der Siedlungspläne nicht mehr zu denken gewesen, weshalb die Ernennung Globocniks zum Sonderbeauftragten am 27.März 1942 aufgehoben worden sei. Das Ausbildungslager Trawniki habe weiterhin Globocnik, nunmehr in seiner Funktion als SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin unterstanden.

 

Die fremdvölkischen Wachmannschaften seien daher aus historischer Sicht keine Soldaten gewesen, sondern eher Hilfspolizisten. Dies zeige die formelle Unterstellung unter die Ordnungspolizei. Sie seien auch nicht Mitglieder der SS geworden, namentlich nicht der Waffen-SS. Auch die deutschen Funktionsträger im Ausbildungslager Trawniki und in den Vernichtungslagern seien eher Polizisten als Soldaten gewesen. Es seien auch Laufbahnpolizisten nach Trawniki geschickt worden.

 

Mit dem Ende der systematischen Judenvernichtung in den drei Vernichtungslagern im Spätsommer 1943 seien die meisten ursprünglich Globocnik unterstellten Wirtschaftsbetriebe und Lager, darunter auch das Ausbildungslager Trawniki, dem SS-WVHA unterstellt worden, das im Reichsgebiet für die Konzentrationslager zuständig gewesen sei; dieser Kompetenzübergang habe jedoch an den tatsächlichen Verhältnissen im Ausbildungslager Trawniki nichts Wesentliches verändert. Allerdings seien bereits 1942 zunächst vereinzelt und schliesslich in grösserem Umfang Wachmänner auch zu Wachdiensten in Konzentrationslager abgeordnet worden.

 

Mit der Auflösung der Vernichtungslager der "Aktion Reinhardt", die organisatorisch von den Konzentrationslagern im Reich und in den besetzten Gebieten vollständig abgekoppelt gewesen seien, sei es zu Versetzungen von insgesamt etwa 1000 Wachmännern zu Wachdiensten in Konzentrationslagern, darunter auch ins Konzentrationslager Flossenbürg gekommen.

 

Die Ausbildung, die Personalführung und auch die Zuweisung an die Einsatzorte seien generell von der Lagerleitung und ihrer Verwaltungsabteilung direkt im Ausbildungslager Trawniki geregelt worden. Das Lager sei eine Art Stammeinheit der Wachmänner geblieben und habe grundsätzlich die Disziplinargewalt ausgeübt. Allerdings sei das Ausbildungslager dem Stab des SS- und Polizeiführers untergeordnet gewesen, der über die grundlegenden Einsätze und damit auch über die grösseren Personalzuweisungen entschieden habe.

 

Für die Personalführung der deutschen Funktionäre in den Vernichtungslagern sei das Büro "Einsatz Reinhard" von Christian Wirth zuständig gewesen, dem aber auch besondere Vorkommnisse im Zusammenhang mit Wachmännern aus dem Ausbildungslager Trawniki in den Lagern gemeldet worden seien, so dass diese Institution ebenfalls in die Personalführung organisatorisch eingebunden gewesen sei.

 

Die Einsatzführung am jeweiligen Dienstort sei meist vom jeweiligen Einsatzleiter oder Lagerleiter ausgeübt worden, wobei die Weisungen deutscher Funktionäre in der Regel über die sowjetdeutschen Zug- oder Rottenführer an die Einheit weitergegeben worden seien.