Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLIX

Verfahren Nr.920 - 924 (2002 - 2012), 880 (Erratum), 950 - 959 (1945 - 1960; Nachtragsverfahren)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.924 LG München II 12.05.2011 JuNSV Bd.XLIX S.227

 

Lfd.Nr.924    LG München II    12.05.2011    JuNSV Bd.XLIX S.262

 

Fragen vorher mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt werden müssten, was Gruppenführer Heydrich zusagte und auch loyal gehalten hat, wie überhaupt die für Judensachen zuständige Dienststelle des Reichssicherheitshauptamtes von Anfang an alle Massnahmen in reibungsloser Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt durchgeführt hat. Das Reichssicherheitshauptamt ist auf diesem Sektor in nahezu übervorsichtiger Form vorgegangen. [...; es folgen Ausführungen zu Deportationen aus verschiedenen besetzten Gebieten] Die vorgesehenen Abschiebungen stellen einen weiteren Schritt auf dem Weg der Gesamtlösung dar. [...] Der Abtransport nach dem Generalgouvernement ist eine vorläufige Massnahme. Die Juden werden nach den besetzten Ostgebieten weiterbefördert, sobald die technischen Voraussetzungen dazu gegeben sind. [...]"

 

Der letzte Satz zeigt die Bemühen um Verschleierung des wahren Ziels der Deportation der Juden ins Generalgouvernement. Das Bemühen um allergrösste Geheimhaltung schlägt sich auch in Dokumenten nieder. Das Protokoll der "Wannsee-Konferenz" und andere Dokumente, welche die "Endlösung" zum Thema hatten, trugen stets den Stempel "Geheime Reichssache". Dies bestätigte auch der Zeuge Leonhardt 111.

 

In einem als "Geheim" gestempelten Schreiben vom 28.Juli 1942 übermittelte der Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium und stellvertretender Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn Dr.ing. Ganzenmüller an den SS-Obergruppenführer Wolf 112 im persönlichen Stab Himmlers in Berlin unter Bezugnahme auf ein vorangegangenes Telefonat eine Meldung seiner Generaldirektion der Ostbahnen (Gedob) in Krakau, die wie folgt lautete:

"Seit dem 22.7.[1942] fährt täglich ein Zug mit je 5.000 Juden von Warschau über Malkinia nach Treblinka. Ausserdem zweimal wöchentlich ein Zug mit 5.000 Juden von Przemysl nach Belzec. Gedob steht in ständiger Fühlung mit dem Sicherheitsdienst in Krakau. Dieser ist damit einverstanden, dass die Transporte von Warschau über Lublin nach Sobibor (bei Lublin) solange ruhen, wie die Umbauarbeiten auf dieser Strecke diese Transporte unmöglich machen (ungefähr Oktober 1942). [...] Die Züge wurden mit dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei im Generalgouvernement vereinbart. SS- und Polizeiführer des Distrikts Lublin, SS-Brigadeführer Globotschnigg [gemeint: Globocnik], ist verständigt."

 

Die Einbeziehung der Dienststellen im Reich zeigt sich beispielhaft an zwei Fernschreiben vom 23. und 25.März 1943 über Züge mit jüdischen Häftlingen aus dem französischen Sammellager Drancy bei Paris. Absender ist die Dienststelle des "RFSS - SD" in Paris. Adressaten sind das RSHA - Dienststelle "IV B 4 a - z.Hdn. von SS-Obersturmbannführer Eichmann o.V.i.A.", der "Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD" in Krakau und der "Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD" in Lublin. Das Fernschreiben vom 23.03.1943 hat folgenden Wortlaut:

"Am 23.03.1943 um 9.42 Uhr hat der Transportzug Nr.902 den Abgangsbahnhof Le Bourget-Drancy bei Paris in Richtung [unleserlich] mit insgesamt 997 Juden verlassen.

Der erfasste Personenkreis entspricht den gegebenen Richtlinien. Transportführer ist der Oberleutnant der Ordnungspolizei [Name unleserlich], dem die namentliche Transportliste in zweifacher Ausfertigung mit [...; Rest der Zeile unleserlich].

 

111 Siehe unten C III 2 a aa (am Ende) Seite 271.

112Richtig: Wolff; siehe Lfd.Nr.580.