Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLIX

Verfahren Nr.920 - 924 (2002 - 2012), 880 (Erratum), 950 - 959 (1945 - 1960; Nachtragsverfahren)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.924 LG München II 12.05.2011 JuNSV Bd.XLIX S.227

 

Lfd.Nr.924    LG München II    12.05.2011    JuNSV Bd.XLIX S.244

 

den Kammern zusammengepferchten Menschen bemerkten also sehr rasch, dass nicht das erwartete Wasser aus den Deckenauslässen kam, sondern giftige Abgase.

 

Spätestens jetzt wurde den eingesperrten Menschen ihr Schicksal und das ihrer Angehörigen und Bekannten, die mit ihnen gekommen waren, bewusst. Schon wegen der drangvollen Enge kam es zu dramatischen Angstsituationen. Die einsetzende Panik unter den Eingeschlossenen äusserte sich durch markerschütternde Schreie, Stöhnen, lautes Weinen und Klopfen, die im unmittelbaren Umfeld der Gaskammern zu hören waren. Da das Gas schon in die ersten Kammern eingeleitet wurde, während die letzten Kammern noch mit Menschen gefüllt wurden, bekamen die später Eingesperrten den beginnenden Todeskampf der vorher Eingesperrten mit.

 

Die Menschen in den Kammern versuchten verzweifelt, von innen die Türen zu öffnen, was ihnen jedoch nicht gelang. Es entstand eine tödliche Mischung aus Kohlenmonoxid und Kohlendioxid. Die allmähliche Vergiftung führte zum Ausstoss von Stresshormonen, zu Kopfschmerzen, Übelkeit, teilweise Erbrechen, bis überhaupt erst nach längerer Zeit Schwäche und schliesslich der Tod dem nach etwa 20 bis 30 Minuten ein Ende bereiteten.

 

Nachdem alle in den Gaskammern Eingesperrten tot waren, was ein Wachmann durch ein Guckloch von oben beobachtete, wurden die zur anderen Seite der Kammern direkt nach aussen führenden Schwingtüren geöffnet. Arbeitshäftlinge mussten die ineinander verschlungenen und von Blut, Erbrochenem und Exkrementen beschmutzten Körper aus den Kammern holen und auf Loren legen, die zu den Verbrennungsgruben führten. Wer noch Lebenszeichen von sich gab, wurde erschossen.

 

Die Arbeitshäftlinge mussten den Toten die Goldzähne herausbrechen und auch noch die Körperöffnungen nach versteckten Wertsachen untersuchen.

 

Während die Leichen ursprünglich in eine tiefe Grube eng nebeneinander abgelegt und nur mit einer dünnen Erdschicht bedeckt wurden, ging man ab Ende 1942 dazu über, die Leichen auf grossen, aus Eisenbahnschienen gebildeten Rosten über ausgeschachteten Gruben zu verbrennen. Der Feuerschein und der Geruch der verbrannten Körper erfüllten weithin Tag und Nacht die Luft und waren für jedermann im Lager und auch ausserhalb zu sehen und zu riechen.

 

c) Erschiessungen

 

Wer zum Erschiessungsplatz im "Lager III" gebracht wurde, sah dort die Leichen schon zuvor getöteter Juden. Die Juden mussten sich an der offenen Leichengrube auf den Bauch legen, wo sie mit Karabinern durch Genickschuss erschossen wurden. Wer nicht als Erster erschossen wurde, musste miterleben, wie seine Mitopfer in seiner Gegenwart erschossen wurden. Dies steigerte die durch den Gestank verwesenden und verbrannten Fleisches hervorgerufene Todesangst noch mehr. Wer nicht sofort tödlich getroffen wurde, blieb halbtot in der Grube, in die er hineingeworfen wurde, liegen und dort dem Tod überlassen.

 

d) Verwertung der Habe

 

Diese Vorgänge wiederholten sich, bis die letzte Gruppe der Menschen tot war. Sodann wurde mit dem eigentlichen Sortieren der Habe der Ermordeten begonnen, in das auch das grosse Gepäck, das zunächst im Bereich der Bahnrampe zurückgeblieben war, mit einbezogen wurde. Die Habseligkeiten, die Wertsachen und schliesslich auch die in Säcken gesammelten Haare der Frauen wurden nach Lublin geschickt.