Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLIX

Verfahren Nr.920 - 924 (2002 - 2012), 880 (Erratum), 950 - 959 (1945 - 1960; Nachtragsverfahren)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.924 LG München II 12.05.2011 JuNSV Bd.XLIX S.227

 

Lfd.Nr.924    LG München II    12.05.2011    JuNSV Bd.XLIX S.239

 

Die Lagerleitung blieb - unabhängig davon, wo die Trawniki-Männer tätig waren - die Stammeinheit der Wachmänner und übte die Disziplinargewalt aus. Wurde ein Trawniki-Mann versetzt, so wurden der neue Einsatzort und das Datum der Verlegung in die Personalkarte und in den Dienstausweis eingetragen.

 

Die Versetzung von einem Dienstort zum anderen geschah in der Regel in grösseren Gruppen. Die zu versetzenden Wachmänner wurden mit Dienstrang, Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort und Erkennungsnummer in einer Liste aufgeführt. Von dieser als "Übergabeverhandlung" bezeichneten Liste, adressiert an den Lagerkommandanten des neuen Dienstortes, wurde ein Exemplar mit der versetzten Gruppe von Wachmännern zu diesem zusammen mit den Dienstausweisen, in die in Trawniki der neue Dienstort eingetragen worden war, gebracht. Die Liste wurde am Ende unter "Richtig übergeben" von einem SS- oder Polizeioffizier, der die Gruppe an den neuen Dienstort gebracht hatte, und unter "Richtig übernommen" vom Lagerleiter des neuen Dienstortes oder einem Vertreter unterzeichnet. Das unterzeichnete Exemplar ging an das Ausbildungslager Trawniki zurück.

 

Mit Ende der "Aktion Reinhardt" und dem Wechsel der Verantwortlichkeit für die Lager vom SSPF Lublin auf das SS-WVHA und der Versetzung der Trawniki-Männer in Konzentrationslager im Reichsgebiet oder anderen besetzten Gebieten ging die Disziplinargewalt auf die Verwaltung der Konzentrationslager in Oranienburg über. Ab da wurden Versetzungen auch nicht mehr in Dienstausweisen registriert.

 

5. Disziplinarmassnahmen gegen Trawniki-Männer

 

Die Trawniki-Männer galten als undiszipliniert und unzuverlässig. Die häufigsten Verstösse gegen Befehle waren unerlaubtes Entfernen aus den Lagern und Unterkünften, Überziehung der Ausgangszeit, Schlafen auf der Wache, Trunkenheit, Diebstahl und Plündern bei Ghettoräumungen sowie Aneignung jüdischen Vermögens.

 

Derartige Disziplinarverstösse konnten mit Arrest von drei bis 21 Tagen oder mit Prügeln bestraft werden.

 

Von den rund 5000 Trawniki-Männern haben mindestens 1000 sich vom Dienst mit oder ohne Waffe in der Absicht entfernt, dauerhaft nicht mehr zurückzukehren. Die Motive hierfür waren vielfältig: Viele verliessen die Truppe aus Gewissensgründen, weil sie die massenhafte Ermordung wehrloser Menschen nicht mehr mitmachen wollten. Viele befürchteten aber auch die Bestrafung durch das eigene Land, wenn sie nach dem Ende der Kampfhandlungen wieder in ihre Heimat zurückkehren wollten. Manchen war auch einfach der militärisch geregelte Dienst zu unangenehm. Mit der im Winter 1942/43 eingeleiteten Wende im Krieg gegen die UdSSR und dem damit einhergehenden, allgemein bekannten Vormarsch der Roten Armee gegen Westen desertierten die Angehörigen der Trawniki-Wachmannschaften in zunehmendem Masse.

 

Viele der Geflüchteten schlossen sich Partisanengruppen an oder versuchten sich auch zu Einheiten der Roten Armee durchzuschlagen. Im Bereich um Chelm und Sobibor nahe dem Grenzfluss Bug gab es eine starke ukrainisch sprechende Bevölkerungsgruppe, so dass geflüchtete Trawniki-Männer ukrainischer Herkunft keine Verständigungsschwierigkeiten hatten.

 

Wurde ein Trawniki-Mann, der den Dienst ohne Waffe verlassen hatte, aufgegriffen, drohte ihm Arrest oder Prügelstrafe, in seltenen Fällen die Rücküberweisung ins Gefangenenlager oder die Einweisung in ein Konzentrationslager.