Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXIV

Verfahren Nr.732 - 746 (1970 - 1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.733 LG Frankfurt/M. 27.05.1970 JuNSV Bd.XXXIV S.191

 

Lfd.Nr.733    LG Frankfurt/M.    27.05.1970    JuNSV Bd.XXXIV S.231

 

Nach dem Gespräch mit Professor Heyde musste der Angeklagte den Personalchef Haus aufsuchen, der ihn sehr grob und in "rüdem Ton" über die Geheimhaltungspflicht und die Folgen eines Verstosses gegen das Gebot absoluten Stillschweigens belehrte. Danach musste der Angeklagte mit seiner Unterschrift versichern, dass er die Belehrung verstanden habe und ihr folgen werde.

 

In der Folgezeit lernte er das Personal der "Stiftung" und später auch den Vertrauensmann der "T 4" im Reichsinnenministerium, Dr. Linden kennen, der mit einer Cousine des Angeklagten verheiratet war. Als er kurze Zeit bei Dr. Linden wohnte, erfuhr er von dessen Gutachtertätigkeit. Auf seinen Vorhalt, dass Linden doch gar kein Psychiater sei, gab dieser nur zur Antwort, dass er halt auch auf den Meldebogen "draufstehen" müsse. Ein Vertrauensverhältnis hatte der Angeklagte zu Professor Nitsche. An ihn wandte er sich, als eine seiner Schwestern, die schon seit langem an Gleichgewichtsstörungen litt, plötzlich epileptische Anfälle bekam und die Familie befürchtete, sie müsse in eine Heil- und Pflegeanstalt gebracht werden. Nitsche liess sich von dem Angeklagten den Krankheitszustand genau schildern und fragte ihn auch, ob Anzeichen für eine erbliche Belastung vorhanden seien. Als der Angeklagte das verneinte, erklärte ihm Nitsche, dass seine Angst, die Schwester könne in die "Aktion" einbezogen werden, unbegründet sei und riet ihm, die Kranke zu einem Spezialisten in Göttingen zu bringen. Später stellte sich heraus, dass die Schwester an einem Hirntumor erkrankt war; sie starb im Jahre 1945.

 

Als der Angeklagte All. nach seinem Arbeitsgebiet fragte, erklärte ihm dieser, er müsse sich mit dem Kostenwesen befassen, das völlig im Argen läge. Die "Stiftung" und die "Gekrat" bekämen laufend Rechnungen der Zwischenanstalten über die Kosten, die während des Aufenthaltes der zur Tötung bestimmten Geisteskranken angefallen seien. Er habe sich schon an das Finanzministerium und an andere Stellen in der Hoffnung gewandt, sie zur Kostenübernahme veranlassen zu können, habe jedoch nur abschlägige Bescheide erhalten. Um zu ihrem Geld zu kommen, seien die Zwischenanstalten seit einiger Zeit dazu übergegangen, die Ursprungsanstalten oder die Kostenträger anzuschreiben, die sich ihrerseits wieder an die "Gekrat" oder an die "Stiftung" gewandt hätten, so dass sich die Anfragen häuften. Der Angeklagte erfasste sofort das Problem und erkannte auch, dass die nahezu vollendete Tarnung der Aktion hier eine Lücke aufwies, die darin bestand, dass durch die Korrespondenz der Zwischenanstalten mit den Ursprungsanstalten oder den Kostenträgern der Weg der Geisteskranken, die aus der Ursprungsanstalt mit "unbekanntem Ziel" verlegt worden waren, in einem bedenklich erscheinenden Masse weiterverfolgt werden konnte. Er machte All. diese Tarnungslücke klar. Wie er selbst erklärt, kam All. erst durch ihn dahinter, "was eigentlich im Argen lag". Der Angeklagte sah aber nicht nur das Problem, sondern auch dessen Lösung. Dabei kamen ihm seine ausgezeichneten Kenntnisse auf dem Gebiet des Kassen- und Kostenwesens zugute. Um den unerwünschten Schriftwechsel der Zwischenanstalten mit den Ursprungsanstalten oder den Kostenträgern ein für allemal zu unterbinden, musste eine Stelle geschaffen werden, die das Geld bei den Kostenträgern anforderte und an die Zwischenanstalten weiterleitete. Seine Vorstellungen erläuterte er All., der sie billigte.

 

Da aus Tarnungsgründen weder die "Stiftung" noch die "Gekrat" noch die "RAG" mit den Kosten der getöteten Geisteskranken in Verbindung gebracht werden durften, entschloss man sich, eine neue Scheininstitution ins Leben zu rufen, die den Namen "Zentralverrechnungsstelle Heil- und Pflegeanstalten" erhalten, im übrigen aber ebenso wie die anderen Scheingründungen über keinerlei Selbständigkeit, Mittel oder Organisation verfügen sollte.

 

b) « Die Zentralverrechnungsstelle Heil- und Pflegeanstalten »

 

Zum Leiter der Zentralverrechnungsstelle wurde formell Dietrich All. bestellt. Tatsächlich stand ihr jedoch dessen Stellvertreter, der Angeklagte Bec. vor, der die Geschäfte selbständig führte und nur bei juristischen Fragen All. um Rat bat.